Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 9

zm 111, Nr. 9, 1.5.2021, (798) auszuspülen. Der nasal gelegene Teil des Nasen-Rachen-Raums kann durch eine Mundspülung natürlich nicht erreicht werden. Reduzieren Mundspülungen die SARS-CoV-2-Infektiosität? In vitro konnte für verschiedene Wirkstoffe in Mundspülungen eine Wirksamkeit bezüglich der Reduktion der SARS-CoV-2-Viruslast und -Infek- tiosität gezeigt werden. Insbesondere Produkte mit einer speziellen Kombi- nation ätherischer Öle sowie Povi- don-Jod und quartäre Ammonium- verbindungen wie Cetylpyridinium- chlorid oder Benzalkoniumchlorid haben in vitro eine antivirale Wir- kung [Meister et al., 2020]. Die genauen Interaktionen einzelner Wirkstoffe mit dem Virus sind noch nicht bekannt. Die Substanzen Thy- mol (ätherisches Öl), Povidon-Jod (PI), Cetylpyridiniumchlorid (CPC) und Ethanol scheinen die Virushülle anzugreifen, ohne jedoch das virale Genom zu zerstören [O‘Donnell et al., 2020; Seadawy et al., 2020]. Ob sich diese Ergebnisse aus dem Labor auf die Klinik übertragen las- sen, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar. Auf klinische In-vivo-Studien bezo- gen ist daher eine „Messung“ der RNA-Menge – wie im klassischen PCR-Test – die falsche Herangehens- weise zur Evaluation der Effektivität einer Mundspülung gegenüber SARS- CoV-2. Wenn eine Substanz auf die Virushülle wirkt, liegt die Virus-RNA inaktiv frei vor und kann durch einen PCR-Test trotz Virusinaktivie- rung detektiert werden. Daher sollte in zukünftigen klinischen Studien anstelle der Verwendung von PCR- Tests die virale Infektiosität evaluiert werden. Hierzu werden Zellkulturen in vitro mit dem Probenmaterial (zum Bei- spiel Gurgelwasser vor und nach Mundspülung) „infiziert“. Eine aktive Replikation des Virus zeigt sich am Auftreten zytopathischer Effekte in der Zellkultur. Ergebnisse erster kli- nischer Studien, die mittels PCR-Tes- tung die Viruslast gemessen haben, zeigen zwar teilweise eine leichte Reduktion der Viruslast durch Mund- spülungen [Gottsauner et al., 2020; Seneviratne et al., 2020; Martínez Lamas et al., 2020], diese sind aber sehr gering (≤ 1 log-Stufen) und könnten zum einen auch auf ein mechanisches Ausspülen der Virus- kopien hindeuten. In einer Studie zeigte die Kontrollgruppe mit einer „Wasserspülung“ ebenfalls eine Re- duktion gegenüber der Baseline [Seneviratne et al., 2020]. Zum ande- ren wurden die bisher publizierten klinischen Studien nur mit sehr we- nigen Probanden durchgeführt. EMPFEHLUNGEN \ Trotz erster In-vivo-Studien [Gottsauner et al., 2020; Seneviratne et al., 2020; Martínez Lamas et al., 2020] ist bisher unbekannt, ob aktive Wirkstoffe beziehungsweise Mundspüllösungen zu einer klinisch relevanten Reduktion der SARS-CoV-2-Infektiosität und somit zu einem vermindertem Transmissionsrisiko bei der zahn- ärztlichen Behandlung führen. \ Durch antiseptische Spülungen der Mundhöhle wird jedoch die Gefahr einer Weitergabe von bakteriellen Krankheitserregern über das Aerosol vermindert [Marui et al., 2019]. \ Gemäß dem DAHZ-Hygiene- leitfaden sollten präprozedurale Mundspülungen weiter mit der Zielstellung der Reduktion von Mikroorganismen vorgenommen werden [DAHZ-Hygieneleitfaden, 2021]. \ Zu diesem „Pre-Rinsing“ werden vor allem CHX 0,2 Prozent sowie CPC 0,05 Prozent oder eine spezielle Formulierung ätherischer Öle empfohlen [Marui et al., 2019]. \ Um auch den Rachenraum zu erreichen, sollten Patienten aufgefordert werden, die Mund- spüllösung nicht nur – wie bislang üblich – im Mundraum zu bewegen, sondern bewusst ein Gurgeln der Lösung durch- zuführen. WEITERE ÄNDERUNGEN IM UPDATE 1. Empfehlung zur individuellen Risikobewertung der Lage des Infektionsgeschehens (Tabelle 1) UNIV.-PROF. DR. MED. DR. MED. DENT. BILAL AL-NAWAS Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichts- chirurgie – plastische Operationen, Universitätsmedizin der Johannes- Gutenberg Universität Mainz Augustusplatz 2, 55131 Mainz Foto: Universitätsmedizin Mainz NEUE EMPFEHLUNG: INDIVIDUELLE RISIKOBEWERTUNG DER LAGE DES INFEKTIONSGESCHEHENS Für alle folgenden Empfehlungen gilt, dass eine individuelle Risikobewertung der jeweiligen Lage durch den Zahnarzt erfolgen soll und die Empfehlungen in Abhängigkeit der regionalen epidemiologischen Situation angewendet und umgesetzt werden sollen. Abstimmung: 14/0/0 (ja, nein, Enthaltung) Tab. 1, Quelle: Leitlinie [DGZMK, 2021] starker Konsens TONI LUISE MEISTER, M. SC. Abteilung für molekulare und medizinische Virologie, Fakultät für Medizin, Ruhr-Universität-Bochum Universitätsstr. 150, 44801 Bochum Foto: RUB Empfehlung zur individuellen Risikobewertung der Lage des Infektionsgeschehens 32 | ZAHNMEDIZIN

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