Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 9

zm 111, Nr. 9, 1.5.2021, (830) JOSEPH BEUYS UND DIE ZÄHNE Der Biss ins Fett Kay Lutze Für die einen ist er der international bedeutendste deutsche Avantgardist nach dem Zweiten Weltkrieg. Die anderen können mit seinem Œuvre bis heute nicht viel anfangen. In seiner Kunst spielten auch Zähne eine Rolle. Zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys. J oseph Heinrich Beuys wird am 12. Mai 1921 in Krefeld geboren. Ein Jahr später zieht seine Familie – er stammt aus wohlhabenden bürgerlichen Verhältnissen – in die niederrheinische Stadt Kleve. Von 1931 bis 1940 besucht er dort das Gymnasium. Im Spätsommer 1940 geht Beuys freiwillig zur Luftwaffe und beginnt eine Ausbildung zum Bordfunker und Flugzeugführer- anwärter. Nach verschiedenen Ein- sätzen als Funker und Bordschütze eines Sturzkampfgeschwaders kommt es über der Krim 1944 zum Absturz, bei dem Beuys schwer verletzt wird. Er überlebt und kommt in britische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1945 entlassen wird. DIE TATAREN HABEN IHN MIT FILZ UND FETT GERETTET Der Absturz auf der Krim ist auch für sein späteres künstlerisches Schaffen von Bedeutung, da er seine Genesung danach in einer fiktiven Geschichte darstellt. Fakt ist, dass Beuys bereits 24 Stunden nach dem Absturz am 17. März 1944 in einem Militärlazarett aufgenommen wird, das er Anfang April wieder verlassen kann. Beuys spricht später von seiner Rettung durch Tataren, die ihn zwölf Tage mit schamanischen Riten, Filz und Fett behandelt hätten. Im Grunde gehe es Beuys um „die Erschaffung eines Selbstbildes, das sich schon ganz früh mit Fett und Filz in ihrer Bedeutung für Heilungsprozesse auseinander- setzt“, sagt Dr. Barbara Strieder vom Museum Schloss Moyland, das etliche seiner Werke im Bestand hält. Ab 1946 studiert Beuys Bildhauerei an der Staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf, das Studium schließt er 1951 als Meisterschüler bei Ewald Mataré ab. 1961 wird Beuys zum Pro- fessor an der Düsseldorfer Kunst- akademie ernannt. 1964 nimmt er erstmals an der documenta III teil. Mit Eva-Maria Wurmbach, die er 1959 heiratet, hat er einen Sohn (Boien Wenzel) und eine Tochter (Jessyka). EIN FRIEDENSHASE AUS DER ZARENKRONE Meine erste persönliche Begegnung mit der Kunst von Joseph Beuys fand 1982 bei der 7. documenta in Kassel statt: Beuys transformierte hier eine Kopie der Krone von Zar Ivan des Schrecklichen zu einem Friedens- hasen und einer Sonnenkugel. Diese neu gegossenen Objekte wurden mit Schlacke, den übriggebliebenen Per- len und Edelsteinen in einem Stahl- safe mit Panzerglas verschlossen. So sind sie heute in der Stuttgarter Staatsgalerie zu besichtigen. Die zaris- tische Krone als Herrschaftssymbol wurde durch den alchemistischen Umformungsprozess quasi gereinigt. „Es spielt sich ein zwischen Materie und Geist organisch verlaufender Evolutionsprozess ab, der auch auf der höheren Ebene des Denkens und Handelns Energien der Wand- lung und der Schöpfung freisetzt“, heißt es in der Werksbeschreibung der Galerie. Die Lehrtätigkeit von Beuys an der Kunstakademie in Düsseldorf nimmt mit seiner fristlosen Kündigung 1972 ein jähes Ende. Grund sind Auseinan- dersetzungen um die Abweisung von Studienbewerbern. Beuys meldet sich auch immer wieder politisch zu Wort. 1967 beteiligt er sich an der Gründung der Deutschen Studentenpartei. Eine Organisation für Nichtwähler wird 1970 gegründet und es folgen Initiativen für die direkte Demokratie mittels Volks- abstimmungen. 1980 nimmt er am Gründungsparteitag der Grünen in Foto: picture alliance_dpa_Horst Ossinger 64 | GESELLSCHAFT

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