Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 9
zm 111, Nr. 9, 1.5.2021, (848) VERSORGUNGSFORSCHUNG Die Versorgungsforschung ist eine vergleichs- weise junge Disziplin der zahnmedizinischen Wissenschaft. Sie bedient sich grundsätzlich der gleichen methodischen Inventare wie andere Forschungsbereiche der Zahnheil- kunde. Daher unterscheidet sie sich nicht so sehr durch ihre Methodik, sondern vielmehr durch ihren Forschungsgegenstand – die Gesundheitsversorgung. Die Versorgungsforschung setzt also beim Gesundheits-Outcome an, untersucht aber auch das Umfeld der Gesundheitsversorgung. Dazu zählen der Bereich der Regulierung und Steuerung des Gesundheitssystems, Um- welt, Ernährung und andere Politikbereiche sowie die Allokation finanzieller Ressourcen. Wesentliche Charakteristika sind die Beob- achtung von tatsächlichen Therapieeffekten unter Alltagsbedingungen, eher heterogene Studienpopulationen ohne umfangreiche Ausschlusskriterien und der Schwerpunkt auf patientenzentrierten und patientenrelevanten Outcome-Parametern (Patient Reported Outcome Measures). DIE ROLLE VON VERSORGUNGSFORSCHUNG Impulse für den Praxisalltag und die Professionsentwicklung Andreas Bartols Welchen Nutzen haben neue zahnmedizinische Studien für den zahnärztlichen Alltag? Ist das Forschungs- thema angemessen – oder geht es am Bedarf vorbei ? Was die Versorgungsforschung bewirken kann, zeigen drei Beispiele aus dem Forschungsumfeld der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe. I n der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung in Karlsruhe und in deren Umfeld hat die Bedeutung der Versorgungsforschung in den vergangenen Jahrzehnten beständig zugenommen. Sowohl in der Akade- mie selbst als auch im Arbeitskreis Zahnärztliche Therapie (AZT), der mit der Akademie verbunden ist, wie von Masterabsolventen der Akademie in Kooperation mit der Universität Magdeburg wurden zahlreiche Ver- sorgungsforschungsstudien durchge- führt. Drei Beispiele zeigen, wie versorgungs- relevante Studien in der Zahnmedi- zin entstehen und welche konkreten Folgen ihre Ergebnisse für die tägliche Praxis des Zahnarztes haben. 1. BEISPIEL: Studien zum Überleben von Wurzelstiften ergänzen universitäre Studien Anfang der 2000er-Jahre entstand die älteste Versorgungsforschungsstudie des AZT, die das Überleben von Wur- zelstiften untersucht. Ausgangspunkt war zum einen die Beobachtung, dass es zu Komplikationen bei der Stift- versorgung von endodontisch behan- delten Zähnen kam, zum anderen, dass neue Glasfaserstifte in den Markt eingeführt wurden. Die Mitglieder des AZT fragten sich, wie erfolgreich deren Anwendung in der Praxis ist. In der Folge erarbeiteten die Praktiker selbst ein prospektives Studienproto- koll. Zur Studie wurden Daten aus insgesamt acht Mitgliedspraxen bei- gesteuert. Die Nachbeobachtungszeit in der Studie betrug bis zu 17 Jahre an insgesamt 181 mit Stiften versorg- ten Zähnen. Im Ergebnis zeigte sich, dass das Zahnverlustrisiko am geringsten war, wenn ein Stift im Zusammenhang mit einer neuen Krone eingesetzt wurde. Bei Teleskopkronen war das Zahnver- lustrisiko höher als bei neuen Kro- nen, allerdings war das Zahnverlust- risiko signifikant am größten, wenn Stifte als „Reparaturstifte“ zur Wie- derherstellung von Kronen, Brücken oder Teleskopkronen eingesetzt wur- den. Außerdem zeigte sich, dass die adhäsive Zementierung von Stiften der Zementierung mit mikromecha- nischen Zementen überlegen ist. Später führte der AZT die gleiche Stu- die mit retrospektivem Studiendesign und Routinedaten aus fünf Mitglieds- zahnarztpraxen durch. Hier konnten bei einer Beobachtungszeit über 20 Jahre fast 1.200 Zähne mit Wurzel- stiften identifiziert werden, die mit einer definitiven Krone versorgt wur- DR. MED. DENT. ANDREAS BARTOLS, M.A. Stellvertretender Direktor Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe Lorenzstr. 7, 76135 Karlsruhe andreas_bartols@za-karlsruhe.de Foto: ZA Karlsruhe ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 82 | GESELLSCHAFT
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