Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 10

zm 111, Nr. 10, 16.5.2021, (894) IST DIE ZYSTEKTOMIE OBSOLET? Zystektomie und Dekompression beziehungsweise Zystostomie werden seit der jeweiligen Erstbeschreibung als konkurrierende Techniken dar- gestellt, wobei gerade die Rezidiv- freudigkeit von Keratozysten fast zum Verlassen der Dekompression für die Therapie von Kieferzysten führte [Torres-Vega et al., 2019]. Bis heute zieht sich ein kritischer Diskurs durch die Fachliteratur, welche Methode die beste sei, insbesondere zur Entfernung von Keratozysten, wobei sich zuneh- mend eine differenziertere Heran- gehensweise in Abhängigkeit der Aus- dehnung des klinischen Befunds und betroffener Nachbarstrukturen durch- gesetzt hat [Nyimi et al., 2019; Pogrel, 2007; Sacher et al., 2019; Al- Moraissi et al., 2017]. So empfehlen Wakolbinger et al. in ihrem 2016 pub- lizierten Review eine primäre Zystek- tomie bei Befunden < 1,5 cm, wobei ausgedehntere Befunde mit Affektion benachbarter Strukturen zunächst mittels Dekompression verkleinert werden sollten und mit einer defini- tiven Zystektomie ergänzt werden können [Wakolbinger et al., 2016]. Auch wir vertreten die Ansicht, dass eine starre Sichtweise zugunsten einer Technik nicht zielführend ist. Wir befürworten Zystektomien bei zirkulär knöcherner Begrenzung oder bei Patienten, bei denen eine Koope- ration nicht sichergestellt werden kann. Im Sonderfall der Keratozyste sehen wir eine definitive Zystektomie mit Anfrischen der knöchernen Be- grenzung als obligat an, da unvorher- sehbare Rezidivraten (0 bis 100 Pro- zent) bei reiner Marsupialisation be- schrieben sind [Driemel et al., 2007]. Follikuläre Zysten beispielsweise kön- nen auch durch reine Dekompression zur Ausheilung gebracht werden, wobei dies in Abhängigkeit der Ausdehnung mitunter einen Therapiezeitraum von einigen Jahren beanspruchen kann [Wakolbinger und Beck-Mannagetta, 2016]. Wenngleich es Methoden zur Berechnung der prognostizierten Zys- tenreduktion gibt, zeigen die präsen- tierten Fälle, dass diese dennoch indi- viduell sowie altersbedingt Schwan- kungen unterliegen [Sacher et al., 2019]. Ein frühzeitigerer Abschluss der Behandlung kann somit, insbesondere bei noch erforderlicher Entfernung verlagerter Zähne, mittels sekundärer Zystektomie herbeigeführt werden. Vor allem aus Fallberichten und Übersichtsarbeiten ist außerdem, so- wohl bei follikulären Zysten als auch bei Keratozysten die Möglichkeit einer malignen Entartung bekannt, wobei das Risiko für diese bei letzte- ren höher ist [Borrás-Ferreres et al., 2016]. In der Literatur wird eine Häu- figkeit von 0,12 Prozent angegeben, wobei verlässliche Angaben zur Häu- figkeit aufgrund des seltenen Vor- kommens schwierig sind, zumal es nicht immer möglich ist, eine De-novo- Genese auszuschließen [Bhargava et al., 2012]. Umso wichtiger ist das regelmäßige Follow-up und konse- quente Intervenieren bei fehlendem Ansprechen auf die Therapie. FAZIT Die hier dargestellten Fallberichte zeigen zwei Alternativen zur Zystek- tomie auf und demonstrieren die regenerative Potenz der Zystostomie, die eine rein ambulante Behandlung auch ausgedehnter Befunde ermög- licht. Die Patienten müssen bei die- sen ausgedehnten Befunden über die Möglichkeit eines mehrzeitigen Vor- gehens im Sinne einer Zystostomie beziehungsweise Dekompressions- behandlung und die verlängerte Therapiedauer aufgeklärt werden, um eine informierte Entscheidung treffen zu können. Eine anschließende Zystektomie ist bei Keratozysten ob- ligat und kann die Therapiedauer bei weniger rezidivträchtigen Zysten verkürzen. \ UNIV.-PROF. DR. MED. DR. MED. DENT. MAX HEILAND Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichts- chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin Foto: Franz Hafner DR. MED. DENT. PAULA KORN Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichts- chirurgie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow Klinikum Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin Foto: privat ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 24 | ZAHNMEDIZIN

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