Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 10
zm 111, Nr. 10, 16.5.2021, (904) DISKUSSION Dieser Patientenfall demonstriert sehr präzise die schwierige Differenzial- diagnostik des solitär fibrösen Tumors (SFT) der Mundhöhle. Bei der spin- delzellartigen mesenchymalen Neo- plasie handelt es sich um einen meist intrathorakal auftretenden Befund, dessen erstmalige Beschreibung auf das Jahr 1931 zurückgeht [Klember und Rabin, 1931]. Das Synonym „Fi- brosarkom der Pleura“ weist auf die Zuordnung der Entität zur Gruppe der Sarkome und auf den prädispo- nierten Hauptmanifestationsort hin. Entgegen der primären Annahme, dass es sich um eine Variante des Meso- thelioms handelt, wurde 1942 erstmals eine extrathorakale Manifestation des SFTs beschrieben. Zwischen 1931 und 2002 wurde in der Literatur von etwa 800 Fällen an unterschiedlichen Lo- kalisationen berichtet – 1991 konnte erstmals die Diagnose eines SFTs im Kopf-Hals-Bereich gestellt werden. Seit 2013 wird der SFT von der WHO als eigene Tumorentität anerkannt und findet Erwähnung in der WHO- Klassifikation der Kopf-Hals-Tumore [EI-Naggar et al., 2017; Kalla, 2018]. Die Berichte zu SFTs haben in den ver- gangenen Jahren stark zugenommen; allein die gelisteten Pubmed-Einträge zu diesem Thema unter dem Schlag- wort „solitary fibrous tumour“ zeigen für das Jahr 2020 insgesamt 244 pub- lizierte Artikel. Der SFT wird offiziell der Gruppe der „orphan diseases“ also der seltenen Erkrankungen mit einer Prävalenz von unter 1/100.000 Einwohnern zugeordnet, obwohl die genaue Erkrankungshäufigkeit in der Bevölkerung bisher unklar ist. Die Gruppe der Weichgewebssarkome umfasst über hundert Tumore des Weich- und Stützgewebes. Diese Viel- falt, aber auch die Seltenheit und Hete- rogenität der Erkrankung bedingt die schwierige klinische und molekular- biologische Differenzialdiagnostik [Schütte et al., 2019]. Der SFT wird als fibroblastischer oder myofibroblas- tischer Tumor mit mittlerem biologi- schem Potenzial definiert. Er äußert sich durch eine langsam wachsende, indolente knotige Masse. Schmerzen sind durch die Kompression von Nachbarstrukturen möglich. Vermutlich treten sechs Prozent aller SFTs im Kopf-Hals-Bereich auf. Häufig betroffene Regionen sind die Orbita, die bukkale Mukosa ebenso wie der Sinunasaltrakt [Kalla, 2018]. In Zu- sammenschau des klinischen Befunds und der Lokalisation des Tumors kommen verschiedene Differenzial- diagnosen – wie die Mukozele, Speichel- drüsentumore, das Lipom oder vasku- läre Malformationen – in Betracht. Etwa fünf bis zehn Prozent der SFTs sind mit paraneoplastischen Syndro- men assoziiert. Bei dem Doege-Potter- Syndrom kommt es beispielsweise aufgrund einer erhöhten IGF-III-Se- kretion zu häufigen Hypoglykämien, während das Vorliegen des Pierre- Marie-Bamberger-Syndroms mit Osteo- arthropathien der Fingerendglieder vergesellschaftet ist [Schütte et al., 2019]. Das mittlere Alter bei Erstdiagnose eines SFT liegt bei 60 Jahren, obwohl Fälle in einer Spanne von 14 bis 67 Jahren beschrieben wurden. Männer und Frauen sind gleich häufig be- troffen; es liegen keine gesicherten Risikofaktoren für die Entwicklung eines SFT vor. Da es sich bei den kli- nischen Charakteristika um unspezi- fische Symptome handelt, spielen bildgebende Maßnahmen ebenso wie die histopathologische Untersuchung eine große Rolle [Kalla, 2018; Schütte et al., 2019; de Morais et al., 2020]. In der Sonografie stellt sich der SFT typischerweise als klar umschriebene, hypoechogene Raumforderung mit variabler Vaskularisation oder aber als heterogene oder polyzyklische Masse dar. Die heterogene Struktur des Be- funds kann auf nekrotische, hämor- Fotos: Keyvan Sagheb Abb. 4: Intraoperativer klinischer Befund: Zu erkennen ist ein gut abgrenzbarer, solider Tumor der linken Wange von etwa 4 cm Größe. PD DR. DR. KEYVAN SAGHEB Klinik und Poliklinik für Mund-Kiefer- Gesichtschirurgie – Plastische Operationen der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Augustusplatz 2, 55131 Mainz Foto: privat 34 | ZAHNMEDIZIN
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