Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11

zm 111, Nr. 11, 1.6.2021, (992) Satire war ja in den letzten Pandemie-Wochen auch immer ein breit diskutiertes Thema, und ich muss gestehen, dass ich bei der Lektüre Ihres Leserbriefs bis zuletzt hoffte, es könnte sich doch um einen satirischen Beitrag handeln. Offen gestanden war ich sehr irritiert, von einem Kollegen aus dem Bereich der Jugendzahnpflege ein derartiges Statement verschriftlicht zu sehen. Als ebenfalls im öffentlichen Gesundheitsdienst tätige Kollegin möchte ich dem daher eine andere Meinung entgegenstellen: Sicherlich sehen wir auch in unserem Landkreis bei unserer Arbeit in Kitas und Schulen, dass eine Mehrheit der Eltern sich gut um die Zahngesundheit ihrer Kinder kümmert. Für diese Klientel – Sie beziffern diese mit 80 Prozent – stellen die Angebote der Gruppenprophylaxe und das tägli- che Zahnputztraining in den Einrichtungen vermutlich eine Ergänzung zu dem dar, was sie unter Umständen ohnehin aus dem Elternhaus mitbekommen. Selbst für diese Gruppe Kinder würde ich aber die Gewohn- heitsbildung und das Motoriktraining, welches durch das tägliche Zähneputzen in den Kitas von klein auf erfolgt, nicht zu gering schätzen: Häufig sehen wir im Rahmen unserer Angebote Erst- und Zweitklässler, die uns zwar mit strahlend- naturgesunden Zähnen bei der Untersuchung erfreuen, die aber beim Zahnputztraining in der Gruppe nicht über die motorischen Fähigkeiten verfügen, die KAI-Technik alleine zu bewerkstelligen. Auf Nachfrage besuchen gerade solche Kinder dann in der Mehrzahl Kindergärten, in denen bereits nicht mehr Zähne geputzt wird. Offensichtlich wird also gerade in vielen privilegierten Familien zwar durch die Eltern eine sehr gute Zahnpflege geleistet und fleißig „nachgeputzt“. Auch diese mehrheitlich zahngesunden Kinder sind aber ohne Hilfe der Eltern wohl noch nicht in der Lage, Schritt für Schritt Eigenverantwortung für ihre Zahngesundheit zu übernehmen. Hier leisten Erziehende in den Kindertages- stätten mit dem Zahnputztraining demnach auch wertvolle Basisarbeit! Wie sieht es dann erst bei den 20 Prozent (oder mehr, je nach Region) Kindern aus, die aus weniger privilegierten Verhältnissen stammen? Wo das Zähneputzen schon im Elternhaus keinen hohen Stellenwert hat und oft noch ungüns- tige, zahnschädliche Ernährungsmuster zum Kariesrisiko bei- tragen. Gerade diese Gruppe an Kindern sind ja auch dieje- nigen, deren Eltern oft nur selten den Weg in die niedergelas- senen Zahnarztpraxen finden, die von IP-Leistungen und frühkindlichen Prophylaxeangeboten beim Hauszahnarzt eben nur unzureichend profitieren, und die daher einen ma- ximalen Benefit aus aufsuchender Betreuung und allen zur Verfügung stehenden verhältnispräventiven Maßnahmen schöpfen. Wir Kollegen aus dem öffentlichen Gesundheits- dienst / der Kinder- und Jugendzahnpflege sind ja oft die einzigen, die solche Kinder regelmäßig zu Gesicht bekom- men und zahnärztlich betreuen. In Kinderschutzfällen, die auch zu dieser Minderheit gehören, gestaltet sich dies oft sehr aufwendig und Zahnsanierungen können oft nur in Ko- operation mit den Jugendämtern realisiert werden. Umso wichtiger, dass Präventionsangebote diese Kinder erreichen! Daher würde ich an dieser Stelle eher den dringlichen Appell an die KollegInnenschaft richten, gerade in Coronazeiten die- se vermeintliche Minderheit nicht aus den Augen zu verlieren! Ein wesentlicher Bestandteil einer gesundheitlichen Chancen- gleichheit für solche Kinder ist eben auch ganz entscheidend die Einbindung der Kindergärten in den Bereich der Zahn- gesundheitserziehung! Machen wir uns doch nichts vor: Allein der jährliche Besuch des betreuenden Zahnärzte- Teams und ein gegebenenfalls zweiwöchiger „Crashkurs“ vor der Einschulung hilft solchen Kindern wenig beim Aufbau eigenständiger Mundgesundheitsroutinen und des dafür erforderlichen Bewusstseins. Sie profitieren dagegen enorm vom verhältnispräventiven Zahnputztraining für alle in den Kindergärten! Nicht umsonst ist dies wichtiger Bestandteil etablierter Präventionsprogramme, wie zum Beispiel „Kita mit Biss“. Auch in Pandemiezeiten lässt sich dies mit einfachen Hygienemaßnahmen in den Einrichtungen umsetzen. Gemäß wissenschaftlicher Einschätzung wird durch diesen Beitrag zu einer gesunden Mundhöhle als potenzielle Eintrittspforte für Keime auch direkt noch ein kleiner Beitrag zum Infektions- schutz geleistet. Eine „Entlastung“ der Kindergärten von diesem wichtigen Aspekt wäre aus meiner Sicht gerade in Coronazeiten genau der falsche Ansatz. Lassen wir uns da nicht aus unserer „Blase“ zu der Annahme verleiten, es sei jetzt doch mal genug getan. Kinder „abzuhängen“, gerade in diesen aktuell nicht ganz einfachen Zeiten und einem höheren Kariesrisiko zu überlassen, sollte keinesfalls Agenda der Partner im Bereich der öffentlichen Gesundheitsvorsorge sein! Im vergangenen Pandemiejahr waren viele zahnärztliche Teams aus den Gesundheitsämtern so vollumfänglich in die Pandemiebekämpfung einbezogen, dass deren wichtige originäre Arbeit monatelang oder sogar bis heute anhaltend ruhen musste. Ich spreche vielleicht für weitere KollegInnen, wenn ich daher gerade jetzt hoffe, dass das Bemühen um gesunde Kinderzähne weiterhin ein gesamtzahnärztliches Unterfangen bleibt und wir jede engagierte Unterstützung zur Kariesprävention von extern, zum Beispiel von Kitas oder von anderen pädagogischen Fachkräften, nach Kräften fördern. Dr. Anna Daniela Stutz, Zahnärztlicher Dienst, Fachbereich Gesundheit, Landkreis Oberhavel JUGENDZAHNPFLEGE ZAHNPUTZTRAINING FÜR ALLE IN DEN KINDERGÄRTEN! Zum Leserbrief „In Kitas und Schulen unterstützen“ von Paul Peter Baum, zm 9/2021, S. 8. 10 | LESERFORUM

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