Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11

Allerdings könnten gewerbliche Anbieter als juristische Personen bei von ihnen angebotenen oder erbrachten Behandlungen das ZHG unterlaufen, da sie – anders als Zahnärzte und Kieferorthopäden – nicht der Aufsicht und Überwachung der Zahnärztekammern unterliegen. Hierfür müssten gesetzliche Regelungen geschaffen werden. Denn in den vergangenen Jahren sind demzufolge verstärkt gewerbliche Anbieter aufgetreten, bei denen eine Aligner-Behandlung entgegen zahnmedizinischer Standards ausschließlich per Fernbehandlung oder nur mit eingeschränktem Zahnarzt-Patienten-Kontakt erfolgt. Die Unternehmen agieren dabei in der Rechtsform von GmbHs, Zahnärzte sind weder in der Geschäftsführung noch als Mehrheitsgesellschafter vertreten. Abdrucksets werden laut BDK per Post versendet, wo- raufhin auf Grundlage dieser Eigenabdrücke Behand- lungspläne erstellt werden, die der Patient online be- stätigt und dann die Aligner auf dem Postweg erhält. Behandlungskontrollen erfolgten – wenn überhaupt – rein telemedizinisch. Andere Anbieter binden demnach „Partnerzahnärzte“ ein, um dem Arztvorbehalt zu BEISPIELE GESCHEITERTER BEHANDLUNGEN Der Berufsverband der Deutschen Kieferorthopäden (BDK) hat in einer Stellungnahme zum FDP-Antrag beispielhaft folgende Fälle angeführt, in denen eine Behandlung bei gewerblichen Anbietern gescheitert ist. Es handelt sich hierbei laut BDK „um geradezu typische Folgen von Zahnbewegungen ohne adäquate Diagnostik und mit unzureichenden Behandlungskon- trollen“. Bei all diesen Patienten sei eine neuerliche kieferorthopädische Behandlung notwendig, um die Funktionalität des Gebisses wiederherzustellen. \ Bei einer 49 Jahre alten Frau wurde durch fehlende Röntgendiagnostik eine Entzündung des Zahnhalte- apparats mit horizontalem Knochenabbau über- sehen, die zu einer erheblichen Zahnlockerung und der Gefahr des Zahnverlusts führte \ Bei einer 34-jährigen Patientin wurde ohne Röntgen- diagnostik das Knochenangebot falsch eingeschätzt. Zähne wurden deshalb aus dem Knochen heraus- bewegt und es kam zu einem irreversiblem Verlust des Gingivaattachments. Voraussichtlich ist eine Gingiva-Transplantation nötig. \ Bei einem 23 Jahre alten Patienten wurden aufgrund einer Behandlungsplanung mit zu großen Steps je Aligner Wurzelresorptionen in der Front hervorgerufen, die aufgrund der fehlenden Behandlungskontrollen nicht entdeckt wurden. Darüber hinaus verblieben Frühkontakte in der Front und eine unvollständige Nivellierung. \ Eine 21-Jährige brach die Behandlung nach extrem starken Schmerzen ab. Bei dem Nachbehandler wurde ein Frontaler Kopf- und Zwangsbiss festgestellt. Eine habituelle Okklusion war nicht mehr möglich. Es zeigten sich massive Kiefergelenksbeschwerden mit ausstrahlenden Schmerzen. Der vorliegende anteriore Zwangsbiss wurde offenbar wegen fehlender Behandlungskontrollen und funktioneller Diagnostik übersehen. \ Bei einer 22-jährigen Patientin kam es nach der Behandlung, bei der zwar die Zahnbögen ausgeformt wurden, zur Entwicklung eines Kopfbisses. Okklusions- kontakte bestanden nur noch auf den 7ern und am Zahn 24. \ Bei einer 24-jährigen Frau wurden wegen der schlechten Passform die Aligner im Bereich der Zähne 37, 47 gekürzt. Es kam – vom Anbieter unbemerkt – zu einer Elongation dieser Zähne. Bei Abschluss der Behandlung lag ein zirkulär offener Biss mit Abstützung nur auf den Zähnen 37, 47 vor. Es lag ein vollständiger Funktionsverlust vor. Die Patientin gab an, nicht einmal mehr Nudeln essen zu können. Quelle: BDK „Die Zeiten, in denen man bei Zahnschmerzen den Barbier aufsuchte, sind vorbei. Zahnheilkunde obliegt den Zahnärzten. Das ist das geltende Recht, dieses gilt auch für die Korrektur von Zahnfehlstellungen durch Aligner. Das heißt nicht, dass es keine privaten Anbieter auf dem Markt geben darf, die Aligner herstellen und vertreiben. Die fachgerechte Anwendung muss jedoch gewährleistet und gesetzlich durchgesetzt werden. Die Erstellung eines Behandlungsplans, die Anpassung und insbesondere die fortlaufende Betreuung der Behandlung muss durch oder zumindest in Kooperation mit einem approbierten Zahnarzt und in dessen Verantwortung erfolgen. Nur so kann den möglicherweise gravierenden Folgen einer unsachgemäßen Behandlung vorgebeugt werden.“ Prof. Dr. Gregor Thüsing LL.M., Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn POLITIK | 39

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