Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11
zm 111, Nr. 11, 1.6.2021, (1037) Die klassische Technik nach Tatum wird auch als externer Sinuslift be- zeichnet. Diese ist indiziert, wenn ein größerer Knochengewinn in stark atrophierten Oberkiefern benötigt wird. Die Implantate können bei Erreichen der notwendigen Primär- stabilität sofort oder nach Abschluss der Knochenheilung inseriert werden [Zitzmann und Schärer, 1989]. Unter der Annahme, dass der bei der externen Sinusbodenelevation neu geschaffene subantrale Hohlraum aufgrund der Pneumatisation einen volumenstabilen Füller zur Augmen- tation der Kieferhöhle braucht, be- inhaltet das klassische Protokoll der externen Sinusbodenelevation immer die Verwendung eines geeigneten Augmentationsmaterials, um den durch die Sinusbodenelevation gebil- deten Hohlraum aufzufüllen und zu stabilisieren. In zahlreichen Studien wurden allogene, xenogene oder allo- plastische Knochenersatzmaterialien mit autolog gewonnenen Knochen- chips kombiniert [Ardekian et al., 2006; Chiapasco et al., 2009; Merli et al., 2013]. Die Kombination von Eigenknochen und Knochenersatz- materialien soll die osteogenen und osteoinduktiven Eigenschaften des autologen Knochens mit den osteo- konduktiven Eigenschaften des Kno- chenersatzmaterials kombinieren und gleichzeitig ein zweites OP-Gebiet für die Gewinnung einer ausreichenden Menge an Eigenknochen überflüssig machen. Jedoch bleibt nach wie vor die Frage offen, ob überhaupt ein volumenstabiler Füller zur Stabilisie- rung für die Augmentation des Sub- antralraums notwendig ist. Bereits im Jahr 1998 konnten Häm- merle und Karring zeigen, dass sich mit dem sogenannten Memfix®- System große Volumina an neuem Knochen bilden lassen, ohne dass ein Knochenblock oder Knochenersatz- material Anwendung finden muss. Das Periost wurde dabei durch eine Art „Zeltstange“ (Memfix®-Schraube) auf Abstand gehalten. Lediglich ein Blutkoagel füllte den so gebildeten Hohlraum, der während der Abhei- lungsphase ossifizierte. Auch Lund- gren et al. zeigten in ihrer 2003 ver- öffentlichten Arbeit, dass sich nach Entfernung einer zystischen Verände- rung in der Kieferhöhle auf Basis eines Blutkoagels spontan neuer Knochen bilden kann. Mit der Publi- kation dieser Studien wurde eine neue Perspektive gewonnen und in der Folge zeigten auch andere For- schungsgruppen das Knochenneubil- dungspotenzial des Blutkoagulums in der Kieferhöhle [Altintas et al., 2013; Bassi et al., 2015; Chen et al., 2007; Thor et al., 2007]. Durch die simultane Insertion der Implantate bei der externen Sinus- bodenelevation wurde nach dem „Zeltstangenprinzip“ ein künstlicher Hohlraum geschaffen, in dem eine rein autologe und über das Blut- koagel initiierte Knochenneubildung abläuft. Die in mehreren Review- artikeln veröffentlichten durchschnitt- lichen Erfolgsquoten dieses OP-Proto- kolls liegen bei 97 Prozent [Duan et al., 2017; Moraschini et al., 2017; Dongo et al, 2018]. Der physiologische Heilungsprozess kann zusätzlich durch die Verwendung von Thrombozyten- konzentraten beschleunigt und die Gefäß- und Geweberegeneration ver- bessert werden [Martinez et al., 2015]. DISKUSSION Der bei dieser OP-Methode erzielte Knochengewinn kann mit dem PASS- Prinzip der gesteuerten Knochenrege- neration erklärt werden [Duan et al., 2017]. Dabei steht PASS für „primary wound closure, angiogenesis, space creation and maintenance and wound stability”. Die Heilung in einem trans- plantatfrei augmentierten Sinus ist eine zeitliche Abfolge von Blutstillung, Entzündung, Proliferation und Rei- fungs- und Umbauprozessen. Raum- und Wundstabilität sind dabei ent- scheidend für die undifferenzierten mesenchymalen Stammzellen oder Vorläuferzellen im Sinus, um Knochen zu bilden. Eine klinisch-mechanische Instabilität im augmentierten Sinus tritt hauptsächlich aufgrund des durch die Atmung bedingten Luft- drucks in der Kieferhöhle auf. Wenn die Schneider‘sche Membran durch das hervorstehende Implantat abge- halten wird, ist der unter der Mem- bran erzeugte Raum relativ stabil, was die Knochenregeneration innerhalb des Raums begünstigt. Dementspre- chend wird die Menge des vertikalen Knochengewinns durch die in den Sinus hineinragende Implantatlänge bestimmt. In diesem Zusammenhang ist es auch interessant, dass sich in einer Metaanalyse beim Vergleich einer Sinusbodenelevation mit und ohne Knochenersatzmaterial kein signifikanter Unterschied bei der Zunahme der Knochenhöhe zeigte [Moraschini et al., 2017]. Zu ähn- lichen Ergebnissen kamen de Silva et al., die beim Vergleich der prä- und postoperativen Knochenhöhe keinen signifikanten Unterschied zwischen Operationen mit und ohne die Ver- wendung von Knochenersatzmaterial bei der Sinusbodenelevation feststell- ten [de Silva et al., 2016]. Wie wichtig die Raum- und Wund- stabilität ist, zeigt sich darin, dass die in der Literatur am häufigsten be- schriebene Ursache für den Implan- tatverlust bei der Implantation mit si- multaner Sinusbodenelevation eine fehlende Primärstabilität der Implan- tate ist [Testori et al., 2012; Zitzmann et al., 1998; Thor et al., 2007]. Um auch bei geringer Restknochenhöhe eine ausreichende Primärstabilität zu erzielen, wurde daher in den meisten untersuchten Arbeiten eine „Unter- präparation“ des Bohrstollens vorge- nommen. Dabei hatte die finale Im- plantatbohrung einen geringeren Durchmesser als das vom Hersteller empfohlene Bohrprotokoll. In einer von Turkyilmaz et al. veröffentlich- ten Studie konnte gezeigt werden, dass durch dieses Verfahren ein im Vergleich zur Kontrollgruppe signifi- kant höherer mittlerer maximaler In- sertionstorque und höhere RFA-Werte gefunden wurden [Turkyilmaz et al., 2008]. Die Verwendung dünnerer Bohrer für die Implantatinsertion im hinteren Bereich des Oberkiefers, wo die Knochenqualität schlecht ist, DR. BENJAMIN ENGELKE, MSC. Gemeinschaftspraxis Dr. Markus Blume, Dr. Benjamin Engelke Uhlstr. 19-23, 50321 Brühl Foto: Bastian Aschoff ZAHNMEDIZIN | 55
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