Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11
zm 111, Nr. 11, 1.6.2021, (1046) INTERVIEW ZU DESENSIBILISIERENDEN ZAHNPASTEN „Die Wirksamkeit hängt von der Güte der Rohstoffe ab“ Schmerzempfindliche Zähne sind ein weit verbreitetes Phänomen. Entsprechend viele Patienten fragen nach der Wirksamkeit von desensibilisierenden Zahnpasten und Mundspüllösungen. Aber was halten die Werbeversprechen der Hersteller? Wir haben Experten des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen (IMWS) befragt – sie haben die Wirksamkeit einer Reihe von Zahnpflegeprodukten getestet. Frau Morawietz, Herr Dr. Kiesow, das IMWS beschäftigt sich seit gut zehn Jahren mit Wirkstoffen, die schmerzempfindliche Zähne desensibilisieren sollen. Welche Methoden werden dafür heute genutzt? Maria Morawietz: Es gibt im Prinzip zwei Ansätze. Ein Konzept zielt auf eine Desensibilisierung beziehungs- weise vorübergehende Betäubung des Zahnnervs, zu dem freiliegende Den- tintubuli eine direkte Verbindung haben. Das wird durch Zusätze wie Kaliumsalze zu Zahnpasten und Mundspüllösungen erreicht – die Erhöhung der Kaliumkonzentration an der Dentinoberfläche verringert die Signalübertragung und „desensi- bilisiert“ so den Schmerzrezeptor. Das zweite Konzept funktioniert weitgehend physikalisch und setzt auf ein Verschließen der freiliegen- den Dentintubuli – entweder durch das Bilden einer Schutzschicht an der Dentinoberfläche, beispielsweise durch filmbildende Polymere, oder durch ein Verstopfen der Dentin- kanälchen durch geeignete Partikel. Für das Verschließen der Tubuli kommen anorganische Substanzen wie Silica, Kalzium-Natrium-Phos- phorsilikat, Kalziumkarbonat oder auch Hydroxylapatit zum Einsatz. Diese werden für den häuslichen Gebrauch Zahnpasten und Mund- spüllösungen zugesetzt. Vielfach wird beklagt, dass die Wirkung nicht lange anhält. Dr.-Ing. Andreas Kiesow: Die ver- wendeten Materialien müssen hohen Anforderungen genügen: Sie müssen chemisch beständig gegen das Mundmilieu und gegen Säuren aus der Nahrung sein und mechanisch den Belastungen durch das Kauen standhalten. Die Dauer der Wirkung hängt von vielen Faktoren ab: Essen und Trinken mindern beispielsweise die Verschlusswirkung, weil Schutz- schichten abgebaut und Verschluss- partikel aus den Tubuli ausgespült werden. Morawietz: Durch die regelmäßige Anwendung muss andererseits die Wirkdauer werkstofftechnisch nicht sehr weit optimiert werden, weil der Schutz bei Zahnpasten oder Mund- spülungen beständig aufgefrischt wird. Es reicht also prinzipiell aus, wenn die Desensibilisierung bis zur nächsten Anwendung anhält. Wie lässt sich die Wirksamkeit einer Desensibilisierung testen? Schmerz ist ja eine sehr subjektive Angelegenheit, die von Mensch zu Mensch unterschiedlich wahr- genommen wird. Kiesow: Die Schwäche der klinischen Studien ist, dass sie mit den Rück- kopplungen des Patienten arbeiten müssen und dementsprechend anfäl- lig für Placeboeffekte und Verzerrun- gen sind. Klinische Untersuchungen liefern auch bei gutem, standardisier- tem Studiendesign zum Teil schwierig interpretierbare Ergebnisse. Zudem sind sie aufwendig und teuer. Als Alternative bieten wir In-vitro- Messungen an – die sind schneller, kostengünstiger und liefern gut zu bewertende Erfolgsparameter. Letzt- endlich kann aber eine Bewertung DR.-ING. ANDREAS KIESOW Gruppenleiter Charakterisierung medizinischer und kosmetischer Pflegeprodukte und stellvertretender Geschäftsfeldleiter Biologische und Makromolekulare Materialien beim IMWS Foto: IMWS MARIA MORAWIETZ Stellvertretende Gruppenleiterin Charakterisierung medizinischer und kosmetischer Pflegeprodukte beim IMWS Foto: IMWS Fraunhofer Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen – IMWS Walter-Hülse-Str. 1, 06120 Halle 64 | ZAHNMEDIZIN
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