Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11

zm 111, Nr. 11, 1.6.2021, (1050) Opioidkrise ihren Teil beigetragen haben könnte. Aktuell entfallen etwa 10 Prozent der Opioid-Verschreibun- gen in den USA auf Zahnärzte, damit ist deren Anteil laut Studie etwa 37-mal höher als in anderen Ländern mit vergleichbarem Zahngesundheits- status. AUCH ZAHNÄRZTE DOSIEREN ZU HOCH Zwischen 2011 und 2015 überstiegen 29 Prozent der von Zahnärzten ver- ordneten Opioide die empfohlenen Morphin-Äquivalente für eine ange- messene Behandlung akuter Schmer- zen. Dabei überschritt gut die Hälfte (53 Prozent) mit ihrer Dosierungs- empfehlung die empfohlene Tages- versorgung. Am häufigsten erhielten männliche Patienten im Alter von 18 bis 34 Jahren mit Wohnsitz in den südlichen USA Verschreibungen für Opioide in unangemessener Höhe. Die Stichprobe umfasste 542.598 Zahnarztbesuche, 48 Prozent der Pa- tienten waren weiblich, das Durch- schnittsalter betrug 46 Jahre. Die Au- toren stellen fest, dass fast ein Drittel der Opioide verschrieben wurden, obwohl das Ziel die Behandlung einer geringen Schmerzintensität war – und dass regelmäßig Hochleistungs- Opioid-Pillen wie Oxycodon an junge Erwachsene verschrieben wurden, die ein besonders hohes Risiko haben, abhängig zu werden. Schon vor der Pandemie hatte eine Studie [Harbough et al., 2018] die Gefahr überhöhter Opioid-Verschrei- bungen nach Weisheitszahnextrak- tionen für Jugendliche und junge Erwachsene thematisiert. Von 70.942 untersuchten Patienten zwischen 13 und 30 Jahren erhielten 71,4 Prozent perioperativ Opioide verschrieben, vor allem Hydrocodon (70,3 Prozent) oder Oxycodon (24,3 Prozent). Ob- wohl die Verschreibung an Opioid- naive Patienten mit einem höheren Risiko für einen anhaltenden Opioid- Konsum verbunden ist. Das Problem wurde zwar bereits in den frühen 2000er-Jahren benannt, doch selbst Änderungen in der Ver- schreibungspraxis zeigen wenig bis keinen Effekt. So wurde laut CDC von 2006 bis 2017 die jährliche Ver- schreibungsrate um mehr als 19 Pro- zent gesenkt. Dennoch entfielen 2017 auf 100 US-Amerikaner noch fast 58 Opioid-Verschreibungen. Und obwohl immer mehr Behandler der CDC-Empfehlung folgen, Opioide für die meisten Patienten mit akuten Schmerzen für maximal drei Tage zu verschreiben, bleiben die Fallzahlen stabil – und die Gesundheitsausgaben für Opioid-Abhängige steigen über- proportional an. Eine Sekundäranalyse [Silva/Kelly, 2021] warnt vor einer Kostenexplo- sion. Schon jetzt lägen beispielweise die jährlichen Behandlungskosten von opioidabhängigen Patienten mit Wirbelsäulenverletzungen um bis zu 550 Prozent über dem Durch- schnitt. In einem Artikel der Harvard Medical School [Grinspoon, 2020] werden die Verflechtungen der beiden Gesund- heitskrisen offengelegt. Aus vielfälti- gen sozialen Gründen sind Süchtige in den USA deutlich stärker gefährdet, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren; gleichzeitig wurde die Verschreibungs- praxis gelockert, um die Patienten- ströme in den Kliniken zu reduzieren. Süchtige konsumieren in der Pande- mie öfter als vorher allein, was das Risiko einer Überdosis erhöht. Und der Pandemie-Stress und die Angst, die bei den Junkies den generellen Suchtdruck noch erhöhen, verringern die Chance auf eine Rettung im Fall einer gemeldeten Überdosis. Medienberichten zufolge gibt es im ganzen Land Polizeidienststellen, die sich neuerdings weigern, den Opioid-Antagonisten Naloxon zu ver- abreichen. Es sei zu gefährlich, weil der Überdosis-Patient nach der Injek- tion durch Husten und Niesen die Polizisten mit Corona infizieren könnte. mg Unter http://bit.ly/literatur_corona_opioid krise finden Sie die Literaturliste. Quelle: CDC/NCHS, National Vital Statistics System, Mortality. CDC WONDER, Atlanta, GA: US Department of Health and Human Services, CDC; 2020. https://wonder.cdc.gov/ . 68 | GESELLSCHAFT

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