Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11
zm 111, Nr. 11, 1.6.2021, (1057) kennen. Die zweite mobile Zahnarztpraxis wurde 2019 in die Türkei verschifft, nach Aleppo gefahren und ist seit- dem ebenfalls unermüdlich an verschiedenen Standorten nördlich der Stadt im Einsatz. Mehr als 39.000 zahnmedizinische Behandlungen konn- ten in den vergangenen fünf Jahren in beiden Zahnarzt- mobilen durchgeführt werden, allesamt kostenfrei. Die sonst sehr hohen Behandlungskosten übersteigen meist die finanzielle Kapazität vieler Menschen – wenn über- haupt Privatkliniken oder Praxen in der Nähe des Wohn- orts auffindbar sind. Zwei Drittel der Behandelten sind weiblich. Das liegt daran, dass viele Familien auseinander- gerissen wurden, viele Männer leben in der Türkei, um dort Geld zu verdienen und nach Hause zu schicken. „Viele Patienten befinden sich in einem labilen psychi- schen Zustand, aber es ist immer auch Hoffnung da und der Traum von einer besseren Zukunft“, erzählt Orfali. „Der schlechte Zustand ihrer Zähne ist für viele Menschen eine zusätzliche Belastung – sowohl was die Schmerzen angeht, als auch der ästhetische Aspekt. Sichtbare Karies oder eine auffällige Fehlstellung der Zähne führen häufig auch zu sozialen Problemen – etwa zur Angst, vor ande- ren zu sprechen und zu lächeln.“ DIE KINDER DURCHLEBEN DIE ANGST VOR DEN RAKETEN IMMER WIEDER Aleppo ist zu großen Teilen zerstört. Die Einwohner ver- teilen sich auf verschiedene Camps rund um die Stadt, geblieben sind diejenigen, die das Land nicht verlassen haben oder bei Verwandten anderswo in Syrien unter- kommen konnten. Wie Orfali berichtet, haben vor allem viele Kinder psychische Probleme. Sie durchleben die Angst und Panik wegen der Raketen, die oft im Schlaf auf ihren Häusern landeten, immer wieder. Viele von ihnen sahen unter den Trümmern des Hauses tote Familienmitglieder. Viele Familien wurden getrennt. Bis heute leben die Kin- der in dieser instabilen Umgebung, die kleineren unter ihnen können sich an kein anderes Leben als das unstete und improvisierte Hausen in den Camps erinnern. Orfali erzählt auch seine eigene Geschichte als Zahnarzt, als Familienvater und als Ehemann im Krieg. 2016 musste er in die Region nördlich von Aleppo fliehen. Das habe bei ihm viel psychisches und physisches Leid verursacht, sagt er. Sein Weg zur Arbeit sei gefährlich geworden, er sei mehrmals verletzt worden. „Viele Freunde und Patienten, mit denen ich Kontakt hatte, starben oder flohen. Unser medizinisches Zentrum in Aleppo wurde mehrmals bom- bardiert und wir versteckten uns viele Male mit Patienten in den Kellern bis zum Ende der Razzien oder des Be- schusses.“ Schließlich sei er gezwungen gewesen, seine Familie an einen sichereren Orte gehen zu lassen. Die Angst um ihr Leben war zu groß geworden. Er blieb allein in Syrien, ohne seine Frau und die vier gemeinsamen Kinder. Er selbst sieht es als seine Pflicht an, in Aleppo zu bleiben, um den Menschen zu helfen. Das ist seine Heimatstadt, hier hat er studiert. In Aleppo gab es während der für die Stadt akuten Kriegs- phase nur fünf Zahnärzte auf 400.000 Einwohner, Orfali war einer von ihnen. „Ich leide sehr unter der Trennung von meiner Familie, aber ich bin jetzt als Arzt für die Menschen in Aleppo und in den Flüchtlingscamps da.“ Was er sich wünscht? Orfali: „Ich wünsche mir jeden Tag Frieden und Sicherheit für mein Land und seine Bewohner, und dass wir diesen Krieg endlich hinter uns lassen. Auf persönlicher Ebene möchte ich einfach nur wieder mit meiner Familie zusammen sein.“ \ DIE GRÜNHELME Die Grünhelme engagieren sich weltweit in Krisenregionen. Die Organisation konzentriert sich dabei auf den Bau und Wiederaufbau von Schulen und Krankenstationen in Afrika und im Nahen Osten – immer gemeinsam mit den Menschen vor Ort. Die mobilen Zahnarztpraxen sind für sie eine gute Möglichkeit, die Syrer trotz der schwierigen Sicherheitslage zu unterstützen. Auch im Libanon helfen sie syrischen Geflüchteten, indem sie deren Wohnverhältnisse verbessern – viele leben seit zehn Jahren in Zelten – und Schreiner-Fortbildungen anbieten, um jungen Menschen bessere Berufschancen zu ermöglichen. Die Grünhelme stehen in engem Kontakt mit der Independent Doctors Association und finanzieren die laufenden Kosten für beide mobile Zahnarztpraxen. Das umfasst die Gehälter für beide Zahnärzte und ihre Assistentinnen, die Kosten für zahn- medizinische Verbrauchsgegenstände sowie die Wartung und den Diesel für die beiden Fahrzeuge. Um den Betrieb eines Zahnarztmobils in Aleppo einen Tag lang am Laufen zu halten, werden durchschnittlich 75 Euro benötigt. Wer das Projekt unterstützen möchte: IBAN: DE08 4306 0967 0001 0700 02 BIC: GENODEM1GLS GLS Bank Stichwort: Zahnarztmobil www.gruenhelme.de Vor dem zur Zahnarztpraxis umgebauten Wohnmobil warten Kinder mit ihren Geschwistern, bis sie an die Reihe kommen. Fotos: Die Grünhelme GESELLSCHAFT | 75
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