Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14

zm 111, Nr. 14, 16.7.2021, (1320) BGH-URTEIL Änderbare digitale Dokumentation führt zu Haftungsrisiko Martin Wortmann Bei ihrer Dokumentation sollten Praxen nicht auf eine digitale Lösung setzen, die nachträgliche Änderungen zulässt, ohne dass diese nachvollziehbar bleiben. Andernfalls drohen erhebliche Haftungsrisiken, wie aus einem kürzlich veröffentlichten Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hervorgeht. E iner solchen Dokumentation kommt keine positive Indiz- wirkung und erst recht keine Be- weiskraft zugunsten des Arztes mehr zu, urteilten die Karlsruher Richter. Dokumentiert werden muss danach aber nur nach medizinischen Krite- rien. Ein Hinweis auf den nächsten Termin gehört dazu nicht. Beklagte im Streitfall war eine Augen- ärztin aus Niedersachsen. Der Patient war wegen schwarzer Flecken im linken Auge in die Praxis gekommen, die Ärztin diagnostizierte eine alters- bedingte Glaskörpertrübung. Bei einem Sehtest stellte drei Monate später ein Optiker einen Netzhautriss fest. Die Augenärztin erkannte nun eine Netz- hautablösung und schickte den Mann sofort ins Krankenhaus. Dort konnte das Auge nicht mehr gerettet werden. Der nun einseitig erblindete Mann verlangte Schadenersatz. Die Augen- ärztin habe die Untersuchung ohne Pupillenweitstellung vorgenommen und daher den Netzhautriss über- sehen. Zudem habe sie ihn nicht informiert, dass er bei weiteren Be- schwerden oder spätestens nach einem Jahr zur Kontrolle wieder in die Praxis kommen soll. Die Ärztin bestritt beides. Zur Information über einen erneuten Besuch betonte der BGH, dass das Ge- setz dies zwar vorschreibt. Allerdings habe die Ärztin dies nicht dokumen- tieren müssen. „Eine Dokumentation, die aus medizinischer Sicht nicht er- forderlich ist, ist auch aus Rechts- gründen nicht geboten“, urteilten die Richter. Da beide Seiten zur Termin- frage schlüssig vorgetragen hätten, sei dem Patienten der Beweis einer feh- lenden Information nicht gelungen. DER URSPRÜNGLICHE TEXT MUSS SICHTBAR BLEIBEN Anders sieht es nach dem Karlsruher Urteil beim Vorwurf der Fehldiagnose aus. Die Pupillenerweiterung war in der Dokumentation zwar vermerkt, allerdings erfolgte diese Dokumenta- tion auf digitale, nachträglich jeder- zeit und unbemerkt änderbare Weise. Das Gesetz verlange aber, dass bei Änderungen der ursprüngliche Text sichtbar bleibt und das Datum der Änderung dokumentiert wird. Hier hatte in der Vorinstanz das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg der Dokumentation dennoch zumin- dest eine Indizwirkung zugesprochen und deshalb die Klage abgewiesen. Diese frühere Rechtsprechung ist jedoch nach dem Patientenrechte- gesetz von 2013 nicht mehr haltbar, urteilte der BGH. Einer unbemerkt änderbaren Dokumentation fehle es an der erforderlichen Zuverlässigkeit. Ihr komme daher weder Beweiskraft noch eine Indizwirkung zu – auch wenn der Patient keine greifbaren Anhaltspunkte für nachträgliche Änderungen darlegen kann. Nach dem Karlsruher Urteil führt eine solche unzulängliche Dokumen- tation aber auch nicht von vorn- herein zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Patienten. Im Streitfall soll daher das OLG Oldenburg prü- fen, ob sich die Frage der Pupillen- erweiterung anderweitig klären lässt. \ Bundesgerichtshof Az.: VI ZR 84/19 Urteil vom 27. April 2021 (schriftlich veröffentlicht 16. Juni 2021) MARTIN WORTMANN Freier Journalist, Kassel Foto: AdobeStock_tippapatt 22 | POLITIK

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