Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14
zm 111, Nr. 14, 16.7.2021, (1362) möglich ist – allen Unkenrufen zum Trotz hat sich aber sowohl die speicherbare Datenmenge als auch die Rechenleistung von Rechnern (unter anderem durch „verteiltes Rechnen“) auch in den vergange- nen Jahren exponentiell steigern können. \ Standards und Robustheit: Zahn- medizinische KI muss nicht nur transparent und erklärbar sein, sie muss sich an Standards messen lassen und nachweislich robust sein. Im Gesundheitswesen gibt es berechtigte Bedenken, kritische medizinische Entscheidungen an Computer zu übergeben – es steht mehr auf dem Spiel als bei der eingangs erwähnten Gesichts- erkennung im Smartphone, da Behandlungsentscheidungen in die körperliche Integrität des Patienten eingreifen. Gerade weil bekannt ist, dass KI, die auf nicht repräsenta- tiven und kleinen Datensätzen trainiert wurde, leicht verzerrbar, instabil und nicht generalisierbar ist, braucht es Qualitätssicherungs- instrumente. Die ITU/WHO-Fokus- gruppe „AI for Health“ (FG-AI4H) entwickelt unter anderem solche Standards zur Qualitätssicherung – damit sich Zahnärzte und Patien- ten darauf verlassen können, dass künftige KI-Medizinprodukte an solchen Standards entlang erprobt worden sind. Allerdings arbeiten auch Zahnärzte nicht ohne Ver- zerrungen: Als sogenannten Auto- matisierungsbias bezeichnet man das Phänomen, dass Ärzte die Vor- gaben automatisierter Systeme oft- mals zu leichtfertig akzeptieren, insbesondere wenn sie im Stress sind [Parasuraman, 2010]. Gerade dann soll KI ja einerseits entlasten – aber andererseits der Praktiker be- sonders wachsam sein, das Praxis- KI-System kritisch zu hinterfragen! SCHLUSSFOLGERUNGEN KI durchdringt alle Lebensbereiche – und reicht in der Zahnmedizin be- reits heute über die digitale Herstel- lung von Werkstücken hinaus. Die Explosion von Gesundheitsdaten ist gleichsam Voraussetzung und Grund für die vermehrte Anwendung von KI-Technologien. Vor allem Maschi- nelles und „Tiefes Lernen“ sind geeig- net, die zukünftig weiter wachsenden Datenmengen nutzbar zu machen. Die Zahnmedizin kann von dieser Datenexplosion und der KI-gestütz- ten Datenverarbeitung profitieren: Assistenzsysteme werden in der Lage sein, aus Patientenakten und Bild- materialien automatisiert Informatio- nen zu extrahieren, zu integrieren und daraus Vorhersagen abzuleiten. Eine solche „Datenzahnmedizin“ wird präziser, personalisierter, präventiver und partizipatorischer sein. Es gilt jedoch diverse Hürden – unter anderem in den Bereichen Erklärbar- keit, Generalisierbarkeit, Robustheit und Standardisierung – zu überwin- den. Auch die Passfähigkeit von KI- Lösungen im täglichen Workflow muss gegeben sein. Zuletzt müssen auch die zahnmedizinischen Nutzer von KI in die Lage versetzt werden, diese neue Technologie kritisch be- urteilen und bewerten zu können. KI und KI-Forschung haben in ihrer gut 70-jährigen Geschichte bereits mehrfach Visionen entwickelt und Hoffnungen geschürt, die sich später nicht einlösen ließen. Große Daten- mengen und die fortgeschrittenen Technologien zur Datenverarbeitung bieten aber heute die realistische Chance, auch in der Zahnmedizin bislang nicht für möglich gehaltene Instrumente für Diagnostik und The- rapie in die Hand zu bekommen. Durchsetzen wird sich KI aber nur, wenn es gelingt, tatsächlich einen signifikanten Nutzen zu generieren. Oft wird auch befürchtet, KI könnte künftig den Platz des menschlichen Behandlers einnehmen. Bislang deu- tet jedoch nichts auf eine solche Entwicklung hin. Die übergroße Mehrheit der KI-Anwendungen wird als Hilfsmittel und Werkzeug für den Mediziner entwickelt. Daran wird sich aller Voraussicht nach in der nächsten Dekade grundsätzlich auch nichts ändern. \ ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. DR. RER. NAT. JOACHIM KROIS Abteilung für Orale Diagnostik, Digitale Zahnheilkunde und Versorgungsforschung, CharitéCentrum 3 für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Charité – Universitätsmedizin Berlin Aßmannshauser Str. 4–6, 14197 Berlin Foto: privat 64 | ZAHNMEDIZIN
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