Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14

zm 111, Nr. 14, 16.7.2021, (1306) Ich begrüße es außerordentlich, dass Expert:innen aus Pädiatrie und Zahnmedizin konstruktiv an einheitlichen Empfehlungen zur Fluoridgabe bei Kindern arbeiten. Dennoch möchte ich einige Denkanstöße für Modifikationen des Konzepts geben, die sich zum einen aus der klinisch-experimentellen Grundlagenforschung unserer Arbeitsgruppe zu Bioadhäsionsprozessen an der Zahn- oberfläche ergeben, zum anderen aus der engen Interaktion mit der Basis: Hebammen/Geburtshelfern, Kindergärten und Familien aller Gesellschaftsschichten. Hier in Dresden habe ich unter anderem Kindergärten in sozialen Brennpunktstadtteilen besucht und Schulungen für Kindergärtner:innen durchgeführt, der Dialog mit dem öffentlichen Gesundheitswesen und dem Hebammenverband ist hervorragend. Nach meinem Kenntnisstand gibt es keine Evidenz für eine prä- eruptive Wirkung von Fluorid. Daher ist es für mich nicht nachvoll- ziehbar, dass bei zahnlosen Säuglingen eine Gabe von Fluorid- tabletten empfohlen wird. An dieser Stelle liest sich die Empfeh- lung alternativlos. Im Sachsenkompromiss zur Fluoridapplikation bei Kindern hatten wir auch die Option der Gabe von reinen Vitamin-D-Tabletten zur Rachitisprophylaxe mit im Konzept. Das sollte ebenfalls integriert werden. Bei vielen Pädiatern wird sonst die veraltete Ansicht verfestigt, dass an der Wirkung der Fluorid- tablette vor Zahndurchbruch ja doch was dran sein muss. Gerade bei Säuglingen ist man mit der Gabe jeglicher Medikamente und Präparate ansonsten sehr zurückhaltend, die Fluoridtablette ist daher nicht mehr zeitgemäß – zumal unser Organismus kein Fluorid benötigt, etwa für die Knochenentwicklung. Das Konzept realisiert zudem erhöhte Fluoridkonzentrationen in den Zahnpasten bei Kindern in den ersten Lebensjahren, um die präventive Wirkung an der Zahnoberfläche zu optimieren. Der Ansatz ist sehr gut – wenn alle Beteiligten es präzise umsetzen. Erfahrene Kolleg:innen an der Basis haben große Sorge, dass es durch unsachgemäße Umsetzung zu Überdosierungen bei Kleinkindern kommen kann. Hier sollte man die Empfehlungen sorgsam prüfen und sicherstellen, dass die Industrie Pasten in der richtigen Viskosität herstellt, die bei verkleinerten Tubenöffnungen die „Reiskorndosierung“ ermöglicht. Die Empfehlungen müssen für alle Familien einfach umsetzbar, griffig und leicht verständlich sein. Die Dosierung bei Kindern unter vier Jahren sollte einen Sicherheitskorridor zur Vermeidung von Fluorosen einkalkulieren. Ich hoffe, dass diese Anregungen bei der endgültigen Gestaltung der DGZMK-Leitlinie Berücksichtigung finden – zum Wohle der Kinder. Dabei sollte man auch nie vergessen, dass Fluorid nur ein Aspekt der Kariesprävention bei Kindern ist. Gesunde Ernährung und mechanisches Biofilmmanagement – das Zähneputzen an sich – sind mindestens so wichtig wie die Frage der Fluoriddosis. Mit schlüssigen, gut umsetzbaren und einfach verständlichen Fluoridierungskonzepten können wichtige Protagonisten zur Umsetzung dieser Maßnahmen nachhaltig mit ins Boot geholt werden, die in der Diskussion oft vergessen werden: Hebammen/ Geburtshelfer, Kindergärten und schlussendlich die Familien aller Gesellschaftsschichten. Prof. Dr. Christian Hannig, Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltung mit Bereich Kinderzahnheilkunde, Universitätsklinikum Dresden Foto: Federico Rostagno – stock.adobe.com Leserforum PRÄVENTION ZWEIFEL AN FLUORIDGABE FÜR SÄUGLINGE Zum Beitrag „Zahnärzte und Pädiater verabschieden gemeinsames Konzept: Einigung auf Fluoridempfehlungen für Kleinkinder“ zm 9/2021, S. 42–45. Die zm-Redaktion ist frei in der Annahme von Leserbriefen und behält sich sinnwahrende Kürzungen vor. Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch in der digitalen Ausgabe der zm und bei www.zm-online.de zu veröffentlichen. Bitte geben Sie immer Ihren vollen Namen und Ihre Adresse an und senden Sie Ihren Leserbrief an: leserbriefe@zm-online.de oder Redaktion: Zahnärztliche Mitteilungen, Behrenstraße 42, 10117 Berlin. Anonyme Leserbriefe werden nicht veröffentlicht.

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