Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15-16
zm 111, Nr. 15-16, 16.8.2021, (1432) Mit den Privatversicherten und Be- amten käme aber eine Gruppe hinzu, in der höhere Altersklassen häufiger vertreten sind als in der GKV – das kostet. Dagegen liegen die beitrags- pflichtigen Einkommen im Durch- schnitt höher. Unterm Strich könnte deshalb ein ausgabenneutral berech- neter Beitragssatz um bis zu einen Prozentpunkt sinken. Damit würde das Solidaritätsprinzip aber nicht ge- stärkt. Denn während der Anteil der Solidarbeitragszahler kaum steigt, sinkt in einer Bürgerversicherung der Anteil der Ausgaben sogar leicht, der über Solidarbeiträge finanziert würde. ABGEWÄLZT AUF DIE JUNGEN Ungelöst bliebe aber das demografi- sche Problem. Denn mit dem demo- grafischen Wandel werden Altersklas- sen mit überdurchschnittlich hohen Ausgaben und unterdurchschnittli- chen Finanzierungsbeiträgen künftig immer häufiger besetzt. Bei gegebe- nem Beitragssatz drohen also im Um- lageverfahren Defizite, der Beitrags- satz muss steigen – egal ob in der GKV oder in einer Bürgerversiche- rung. Zwar erfolgt auch dann in jeder Periode ein solidarischer Ausgleich zwischen Jung und Alt. Auf Dauer belastet der aber die jeweils jüngeren Kohorten stärker. Immerhin ließen sich die Lasten im Querschnitt der Bevölkerung anders verteilen. Doch bei einem überpro- portional starken Ausgabenwachstum währte die Freude der GKV-Bestands- versicherten darüber nur kurz. Denn die Ausgabendynamik wird dadurch nicht gebremst. Und für jene, die eine „gerechtere“ Einkommensvertei- lung in der Bevölkerung anmahnen, bietet das Steuer-Transfersystem treff- sicherere Kriterien. Das Solidaritätsprinzip wirkt eben nicht nur im Querschnitt der aktuel- len Bevölkerung, es wirkt sich auch auf die intergenerative Balance aus. Wenn aber in der anwartschafts- gedeckten Privatversicherung alters- abhängig steigende Ausgaben nicht auf nachfolgende Generationen über- wälzt werden können, dann lässt sich intergenerative Solidarität nicht da- durch stärken, ausgerechnet dieses System aufzugeben. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Würde der beitragsfinanzierte Anteil in der GKV begrenzt, dann müsste der verbleibende, künftig steigende Ausga- benanteil über Versicherungsprämien finanziert werden – idealerweise im Anwartschaftsdeckungsverfahren. Das Solidaritätsprinzip würde dann nach- folgende Generationen nicht mehr überfordern. Und über die Prämien könnten auch Kostenunterschiede für präferenzgerechte Tarifoptionen abge- bildet werden – zum Beispiel zuguns- ten effizienter Versorgungsmodelle, ja selbst Tarife mit privatärztlicher Leis- tungsabrechnung wären für GKV-Ver- sicherte denkbar. Die Bürgerversiche- rung ist also nur eine mögliche Ant- wort auf den Vorwurf einer „Zwei- Klassen-Medizin“, eine andere besteht in der Vielfalt präferenzgerechter Lö- sungen für GKV-Versicherte. \ DIE EFFEKTE EINER BÜRGERVERSICHERUNG Die Bürgerversicherung zielt darauf ab, das Solidaritätsprinzip zu stärken, indem sie die bisher Ausgeschlossenen aufnimmt und, so ihre Befürworter, die Lasten „gerechter“ verteilt. Aber geht die Gleichung auf? Das Institut der deutschen Wirt- schaft (IW) in Köln kommt zu folgenden Ergebnissen: \ Zum Zeitpunkt einer Systemumstellung könnte eine Bürgerversicherung die GKV- Bestandsversicherten entlasten, denn ein ausgabenneutraler Beitragssatz ließe sich einmalig um 0,8 bis 1,0 Punkte reduzieren. Das Solidaritätsprinzip würde damit aber nicht gestärkt. Der Anteil der Nettozahler, die einen Solidarbeitrag leisten, stiege zwar um rund 2 Prozentpunkte. Der Anteil solidarisch finanzierter Ausgaben würde aber nicht das ursprüngliche GKV-Niveau erreichen. \ Allerdings würden GKV-Bestandsversicherte in einer Bürgerversicherung dauer- haft entlastet. Bei unverändert überproportional starkem Ausgabenwachstum satte- le die Beitragssatzdynamik nämlich auf einem niedrigeren Niveau auf, so dass die GKV-Versicherten günstiger gestellt wären als im Status quo. \ Aufgrund der Alterung der Versichertengemeinschaft müssten die jüngeren Jahr- gänge jedoch künftig steigende und damit höhere Lasten zur Finanzierung der Umverteilungen schultern als ältere Kohorten. Auch eine umlagefinanzierte Bürger- versicherung könne dieses Problem nicht heilen. Umverteilungen ließen sich zwar zu jedem Zeitpunkt realisieren, aber nur zulasten intergenerativer Solidarität. \ Damit gerate das Solidaritätsprinzip zunehmend selbst unter Rechtfertigungsdruck. Selbst wenn eine Entlastung der GKV-Bestandsversicherten als gerecht erachtet werde, müsse dieser Effekt gegen eine fortgesetzt intergenerative Lastverschiebung sowie deren Ausweitung auf die gesamte Bevölkerung abgewogen werden. \ Gleichzeitig leiste eine Bürgerversicherung keinen substanziellen Beitrag, den überproportional starken Ausgabenanstieg zu begrenzen. Denn Treiber wie die Bevölkerungsalterung, der medizinisch-technische Fortschritt sowie institutionell bedingte Fehlanreize wirken laut IW unverändert fort. Vielmehr würde der steuerähnliche Charakter der lohnbezogenen Beitragsfinanzierung auf weitere Bevölkerungsteile ausgeweitet, statt verhaltenssteuernde Anreize in der GKV zu implementieren, die eine effiziente Versorgung begünstigen. \ Die Umverteilung müsse auch intergenerativ gerecht organisiert sein. Andernfalls drohe die Zustimmung jüngerer Generationen zu erodieren. Damit rücken laut IW andere Finanzierungsformen in den Fokus, die intergenerativ neutral wirken. So eröffneten ergänzende kapitalgedeckte Finanzierungselemente in der GKV die Möglichkeit, solidarische Umverteilungen dauerhaft zu begrenzen, ohne dafür das anwartschaftsgedeckte PKV-System aufgeben zu müssen. ck Beznoska, Martin / Pimpertz, Jochen / Stockhausen, Maximilian, 2021, Führt eine Bürgerversicherung zu mehr Solidarität? Eine Vermessung des Solidaritätsprinzips in der gesetzlichen Krankenversicherung, IW-Analysen, Nr. 143, Köln 30 | POLITIK
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