Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17
zm 111, Nr. 17, 1.9.2021, (1538) URTEILE URTEIL I IMPLANTATE: BSG BESTÄTIGT STRENGE GKV-REGELUNGEN Gesetzlich Versicherte müssen Zahnimplantate fast immer selbst bezahlen. Die strengen gesetzlichen Regelungen sind nicht verfassungswidrig, wie jetzt das Bundessozialgericht (BSG) entschied. Allein aus zahnmedizinischen Gründen müssen danach die gesetz- lichen Krankenkassen die Kosten für Zahnimplantate nicht tragen. Auch das Ziel, die Kaufunktion wiederherzustellen, reicht nicht aus, stellten die Kasseler Richter klar. Damit wiesen sie eine Frau aus Westfalen ab. Mit ihrem unzulänglich versorgten Restgebiss konnte sie nicht mehr richtig kauen. Das Universitätsklinikum Münster meinte zunächst, Zahnimplantate seien angezeigt, um eine entzündliche Irritation der Mundschleimhaut zu verhindern. Davon rückte die Klinik später allerdings wieder ab. Auch zwei Gutachter verneinten eine „Ausnahmeindikation“. Die Krankenkasse lehnte eine Kostenübernahme für Zahnimplantate daher ab. Die Patientin klagte und ließ sich während des Verfahrens im Oberkiefer eine implantatgestützte Zahnprothese einsetzen. Hierfür verlangte sie zuletzt Kostenerstattung in Höhe von 6.544 Euro. Die Kasse beteiligte sich in Höhe des Festzuschusses für eine prothetische Versorgung, lehnte weitere Zahlungen aber ab. Zu Recht, wie nach den Vorinstanzen nun auch das BSG urteilte. Laut Gesetz seien Zahnimplantate grundsätzlich von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgenommen. Ob dies heute noch zeitgemäß ist, könne nur der Gesetzgeber selbst entscheiden. Ausnahmen mache das Gesetz nur bei einer „Gesamtbehandlung“. Diese müsse „aus human- und zahnmedizinischen Bestandteilen bestehen“, betonten die Kasseler Richter. „Der Gesetzgeber kann aufgrund seiner im Krankenversicherungsrecht bestehenden Ein- schätzungsprärogative willkürfrei implantologische Leistungen auf Versicherte beschränken, die im Gesichtsbereich in besonders schweren Fällen humanmedizinischen (vornehmlich rekonstruktiven) Behandlungsbedarf haben.“ Das gelte etwa für die chirurgische Wiederherstellung des Gesichts nach einem Unfall. Allein zahnmedizinische Gründe wie die Wiederherstellung der Kau- funktion reichten dagegen nicht aus. Selbst wenn eine normale Prothese aus zahnmedizinischen Gründen nicht möglich sei, „mutet das Gesetz Zahnlosigkeit zu“, sagte der Vorsitzende Richter, BSG- Präsident Rainer Schlegel, bei der mündlichen Urteilsverkündung. „Das klingt hart, ist aber so.“ Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes liege darin nicht. Martin Wortmann Bundessozialgericht Az.: B 1 KR 8/21 R Urteil vom 16. August 2021 URTEIL II ARBEITGEBER DARF KOPFTUCH VERBIETEN Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat erneut entschieden, dass ein Arbeitgeber seinen Mitarbeiterinnen das Kopftuchtragen verbieten darf und damit seine Urteile aus dem Jahr 2017 bestätigt. Erneut hat der EuGH in zwei Rechtssachen aus Deutschland entschieden, dass sichtbare religiöse, politische oder auch weltanschau- liche Zeichen, die von Mitarbeitern am Arbeitsplatz getragen werden, verboten werden können. Für das Verbot muss der Arbeitgeber allerdings mit einem „wirklichen Bedürfnis” argumentieren – zum Beispiel, um Patienten in seiner Praxis Neutralität zu vermitteln oder um soziale Konflikte zu vermeiden. Demnach ist auch das Verbot eines Kopftuchs zulässig. Bereits im Jahr 2017 kam es zu zwei Urteilen in Frankreich und Belgien, wonach das Tra- gen eines Kopftuchs am Arbeitsplatz unter- sagt werden durfte. Die Begründung des Gerichts damals: Ein Kopftuchverbot stelle keine „unmittelbare Diskriminierung” dar. Ob das Kopftuch als religiöses Zeichen in einem Unternehmen verboten ist oder er- laubt, hängt von den internen Regelungen des Betriebs ab. Besagen diese, dass keine religiösen Zeichen von Mitarbeitern sichtbar nach außen getragen werden dürfen, ist das laut EuGH und europäischem Recht zulässig. Hier weist das Gericht aber klar darauf hin, dass diese Regelungen dann für alle betriebs- zugehörigen Personen gelten und nicht nur für muslimische Mitarbeiter – beispielsweise also auch für das Tragen eines Kreuzes oder der Kippa. Die Regelungen, etwa um die Neutralität des Unternehmens zu bewahren, müssten daher „konsequent und systematisch“ umgesetzt werden. Verbietet der Arbeitgeber also Kopftuch und Kreuzkette, muss er kon- sequent beispielsweise auch das Kreuz an der Wand oder biblische Sprüche aus den Räumlichkeiten verbannen, sonst ist die Entscheidung vor Gericht im Fall einer Klage gegebenenfalls damit entkräftet. Es gilt die Einzelfallentscheidung. LL Europäischer Gerichtshof Az.: C-341/19 und C-804/18 Urteil vom 15. Juli 2021 12 | NACHRICHTEN
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