Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17

zm 111, Nr. 17, 1.9.2021, (1556) treten in der Praxis Vorurteile auf? Es gibt mehrere typische Situationen: ! Vorurteile von Mitarbeitenden übereinander – wegen des Geschlechts, der geschlechtlichen Orientierung, Größe, Gewicht, Alter, wegen einer ethnischen Zugehörigkeit, Religionspraxis, der politischen Einstellung, kognitiver, sprachlicher oder schriftlicher Kompetenzen, der allgemeinen Arbeitshaltung und inzwischen auch teilweise wegen des Impf- status ! Entsprechende Vorurteile gegen- über Patient:innen ! Vorurteile von Patient:innen gegenüber Behandelnden oder Assistierenden ! Vorurteile von Gruppen über- einander: „die Verwaltung“, „die Rezeption“, „die Assistenz“, „die Prophylaxe“ Die Folgen sind Belastungen für einzelne Betroffene – und für das ganze Team. Darüber hinaus kann die Bindung an die Praxis und die Arbeitsfreude deutlich sinken. Um zu prüfen, inwieweit solche Vorurteile in der eigenen Praxis vorkommen, sollte man sich regelmäßig fragen, wie häufig in der Praxis folgendes Verhalten vorkommt und in welchem Zusammenhang: ! Werden abwertende Begriffe benutzt („die Schnecken“), wird getuschelt oder schlecht geredet? ! Wird schief geguckt, länger nachgeschaut oder belächelt? ! Beobachten Sie abwertende Gesten wie Augen verdrehen oder Kopf- schütteln hinterm Rücken? ! Wird schnell weggeschaut, wenn die Person den Raum betritt? ! Oder plötzlich geschwiegen beziehungsweise das Thema gewechselt? ! Vielleicht auch ängstlich oder vorsichtig reagiert ohne dass ein erkennbar bedrohendes Verhalten von der Person ausgeht? ! Wird sie direkt gemieden, etwa indem die Zusammenarbeit/ Behandlung verweigert wird? ! Wird jemand direkt benachteiligt, etwa nicht eingeladen, öfter vergessen oder unfair behandelt? ! Werden bewertende Witze gemacht oder widerspruchslos zugelassen? Das sind klassische Situationen, in denen Vorurteile dikriminierend spür- bar werden. Denn von Diskriminie- rung spricht man, wenn Vorurteile dazu führen, dass Mitglieder der ab- gelehnten Gruppe geschädigt wer- den. Dabei gibt es auch Situationen, in denen entsprechende Verhaltens- weisen direkt auf ein einzelnes un- angemessenes vorhergehendes Ver- halten der betreffenden Person zu- rückzuführen sind. Aber das ist ein anderes Thema. DAHINTER STECKT OFT GAR KEINE BÖSE ABSICHT Betreffen negativ wertende Haltun- gen ganze Gruppen („Die Verwaltung hat’s gut, die sitzen den ganzen Tag in Ruhe da hinten rum!“), ist auch von Vorurteilen auszugehen. So ein Zuweisen negativer Eigenschaften wird oft als Kritik empfunden und dies führt zu Rechtfertigungen und Gegenvorwürfen. Das stört die Kom- munikation im Team und damit auf Dauer die betrieblichen Abläufe. Dafür Sorge zu tragen, dass es nicht zu Vorurteilen oder zu Diskriminie- rung kommt, liegt daher im Interesse der Praxisleitung. Diskriminierungen erzeugen reaktiv Gegendiskriminierungen. Dadurch wird der Zusammenhalt im Team weiter erschwert. Dabei muss hinter diesen Handlungen gar keine bös- willige Absicht stehen – Vorurteile fühlen sich für die Person, die sie hat, leider nicht falsch an. Diskriminierung spiegelt sich im Alltag oft in sogenannten Mikro- aggressionen wider. Diese können von Betroffenen oft nicht sicher als Diskriminierung eingeordnet werden, erzeugen jedoch starke Verunsiche- rungen. Sie führen zu anhaltenden, diffusen negativen Gefühlen, zu Irri- tationen, Hilflosigkeit und unklaren Schuldgefühlen. Dazu zählen: ! Übergangen und gemieden werden („Engländer trinken nur Tee, da müssen wir keinen Kaffee anbieten“), ! nicht gefragt werden („Die ist vegan, da will sie sicherlich nicht mit zum Grillen kommen“) ! verächtliche oder neugierige Blicke beim Umziehen, Tuscheln, plötzliches Schweigen, wenn jemand hereinkommt, Augen verdrehen, oder das Verschieben des Mittagessens von Teilen des Teams („Die Jungen sitzen da noch, komm, wir essen später“). NUR WENIGE HABEN EIN DICKES FELL. UND DIE GEHEN. Abgesehen davon, dass das Betriebs- klima leidet, lohnt es sich auch aus anderen Gründen, Diskriminierung innerhalb der Praxis zu unterbinden. Personen, die sich diskriminiert füh- len, haben ein vermindertes Selbst- bewusstsein, sind in sozialen Situatio- nen unsicherer, haben mehr Ängste und werden immer empfindlicher und dünnhäutiger. Diese Faktoren führen wiederum zu vermehrter Un- sicherheit, zu einer Erhöhung der Fehlerhäufigkeit und damit zu neuen Anlässen zur Diskriminierung gegen- über den Betroffenen. Nur wenige Opfer geben hingegen an, dass sie sich ein dickes Fell zugelegt haben oder selbstbewusster geworden DR. MED. DENT. ANKE HANDROCK Praxiscoach, Lehrtrainerin für Hypnose (DGZH), NLP, Positive Psychologie, Coaching und Mediation, Speakerin und Autorin anke@handrock.de Foto: privat MAIKE BAUMANN Diplompsychologin, Psychotherapeutin und Mediatorin, Coach, Autorin und Dozentin info@tonart-coaching.de Foto: privat 30 | PRAXIS

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