Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17

zm 111, Nr. 17, 1.9.2021, (1560) Jener wurde mit hohen Konzentratio- nen von Pi6-Bakteriophagen versetzt (ungefähr 108 plaquebildende Ein- heiten pro Milliliter – dies entspricht der maximal gemessenen Speichel- konzentration von SARS-CoV-2). Strukturell ähnelt Pi6 dem SARS- CoV-2 Virus. Beide haben eine Lipid- membranhülle, eine doppelsträngige RNA sowie eine ähnliche Größe von 80 bis 100 nm. Die Aerosol-produzierenden Prozedu- ren wurden jeweils dreimal wieder- holt und hatten immer die gleichen zeitlichen Muster: zehn Minuten Set- up, insgesamt 20 Minuten Aerosol- produzierende Behandlung (fünf mal vier Minuten mit kurzen Pausen), 20 Minuten Ruhephase. Der Zahnarzt und die Assistenz wechselten nach jedem Behandlungs- zyklus ihre gesamte Schutzausrüs- tung. Zur Messung der Aerosolentste- hung wurden die Prozeduren zu- nächst ohne Absaugung und Koffer- dam durchgeführt, danach fand eine Vergleichsmessung unter der Verwen- dung von Kofferdam sowie einer großvolumigen Absaugung statt. Die Ausbreitung von Bioaerosolen wurde mit Agarplatten gemessen, die mit dem Pi6-Bakteriophagen-Wirt Pseudomonas syringae besiedelt waren. Diese wurden zu Beginn des oben beschriebenen Behandlungs- zyklus um den Patienten herum, auf dem Fußboden, auf Tischhöhe sowie in der Atemzone platziert und nach Beendigung der 20-minütigen Ruhephase versiegelt. Die Virenkon- zentration in der Luft wurde durch aktive Luftprobenahme ermittelt und die Partikelgröße und -menge mit optischen Partikelzählern überwacht. WINKELSTÜCKE SIND BESSER ALS DIE TURBINE Bei der Behandlung mit einer Turbine ohne die Verwendung von zusätz- lichen Maßnahmen (Kofferdam, Absaugung) wurden in allen Proben Aerosolpartikel nachgewiesen. Die Bioaerosolkonzentration war beim Einsatz des Winkelstücks im Ver- gleich zur Luftturbine deutlich ge- ringer. Die Verwendung einer groß- volumigen Absaugung trug zur Ver- ringerung von Bioaerosolen und Spritzern bei, wobei der Effekt durch die Verwendung eines Kofferdams immens verbessert wurde. Im Vergleich zur Turbine konnte bei Verwendung eines Winkelstücks sowohl mit zusätzlicher Absaugung und Kofferdam als auch ohne diese Maßnahmen die Konzentration der sich absetzenden Aerosole um 100 beziehungsweise 99,72 Prozent ver- ringert werden. In den Luftproben konnte eine ähnliche Reduktion von 99,98 Prozent mit und 100 Prozent ohne zusätzliche Maßnahmen ver- zeichnet werden. Der Nachweis von Bakteriophagen konnte durch die Verwendung eines Winkelstücks an- stelle einer Turbine um 100 Prozent reduziert werden. Die Aerosolbelastung im Raum war stärker bei der Behandlung im Frontzahnbereich als im Seitenzahn- bereich. Nach den Aerosol-produzie- renden Prozeduren wurde die Zeit gemessen, in der die Partikelkonzen- tration wieder den Ausgangswert vor der Behandlung erreichte. Hier waren keine Unterschiede zwischen der Behandlung mit Turbine oder Win- kelstück zu verzeichnen. Bemerkens- wert ist, dass bei 22 Prozent der Behandlungen die Partikelkonzentra- tionen 25 Minuten nach Beendigung immer noch nicht die Baseline er- reichten. Erprobt wurde ein Worst-Case-Szena- rio für eine mögliche Verbreitung von SARS-CoV-2, bei dem die Bak- teriophagen-Konzentration so hoch gewählt wurde, dass sie ungefähr dem dokumentierten Höchstwert der im Speichel ermittelten Viruslast von SARS-CoV-2 entspricht. Limitierend sei jedoch der Faktor, dass Sprechen und Husten des Patienten anhand des Phantomkopfs nicht imitiert wer- den können. Dennoch weisen die vorliegenden Daten darauf hin, dass der Einsatz von Winkelstücken und die Zuhilfe- nahme einer hochvolumigen Absau- gung sowie die Verwendung eines Kofferdams das Risiko einer viralen Aerosolisierung erheblich verringern können. Die Forschenden erwähnen zudem, dass die zusätzliche Verwen- dung einer Mundspüllösung kurz vor Behandlungsbeginn die Viruslast im Speichel weiter senken könnte. SIND RUHEZEITEN WIRKLICH SO EIN THEMA? Bisweilen diskutiert wird die Dauer etwaiger Ruhezeiten zwischen zahn- ärztlichen Behandlungen. „Wenn man die Partikel- und Bakteriopha- gen-Daten zusammen betrachtet, wird deutlich, dass die Partikeldaten allein nicht ausreichen, um das Risiko von Viruspartikeln in der Luft zu bestimmen. Hier gab es Fälle, in denen die Ausgangswerte für Partikel nach Aerosol-produzierenden Verfah- ren nicht erreicht wurden, aber keine aktiven Bakteriophagen in der Luft nachweisbar waren“, bilanzieren die Autoren. Bei der Verwendung von Winkel- stücken konnten in dieser Studie bereits nach sechs Minuten kein Bioaerosol mehr nachgewiesen wer- den. Weiterhin weisen die Autoren darauf hin, dass in den Versuchs- räumlichkeiten eine Belüftungsanlage vorhanden war und sich eine schlechte Belüftung von Praxisräu- men nachteilig auswirken könnte. „Es ist unerlässlich, die mit zahn- ärztlichen Eingriffen verbundenen Risiken der Virusausbreitung und die Wirksamkeit der verfügbaren Ver- meidungsstrategien zu verstehen”, sagte der Chefredakteur des Journal of Dental Research, Nicholas Jaku- bovics. „Die hier beschriebenen Daten vermitteln ein klares Bild da- von, wie das Risiko von SARS-CoV-2 und ähnlichen biologischen Gefah- ren mithilfe von Risikominderungs- strategien [...] stark gemindert wer- den kann.” Die Autoren machen auf Grundlage der erzielten Erkenntnisse darauf auf- merksam, dass Pandemie-bedingte Schließungen von Praxen aus wissen- schaftlicher Sicht nicht notwendig sind. ! Vernon JJ, et al.: „Dental Mitigation Strategies to Reduce Aerosolization of SARS-CoV-2”. Journal of Dental Research. August 2021. doi:10.1177 /00220345211032885 34 | ZAHNMEDIZIN

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