Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17

zm 111, Nr. 17, 1.9.2021, (1584) positiv beschieden („Accepted by GMC: 1936“) [Zamet, 2007]. Hinzu kam, dass ihr der Vater offenbar Großbritannien als Immigrationsland nahegelegt hatte. Jedenfalls riet er ihr, die vorhandenen Englischkennt- nisse zu vertiefen und bat sie noch 1936 darum, „die Verbindung mit England aufrechtzuerhalten“, um hinzuzufügen: „[...] ich setze immer noch eine kleine Hoffnung auf Eng- land“ [Formanski, 2020]. Letztlich ging Harth nicht nach Großbritannien, sondern emigrierte von Zürich aus nach Palästina [Zamet, 2007]. Sie kam im August 1936 im heutigen Israel an, verfügte dort jedoch zunächst über keine maßgeblichen persönlichen Kon- takte. Zudem war sie – anders als Kantorowicz – noch keine fachliche Größe, so dass sie keine nahtlose Beschäftigung als Zahnärztin fand. Unterdessen spitzte sich die Situation für ihre Eltern Joseph und Adele – wie für alle verbliebenen Juden – in Nazideutschland weiter zu, so dass diese am Ende doch den Entschluss fassten, zu emigrieren. Doch dafür war es nun bereits zu spät, da die englische Militärregierung keine jüdischen Flüchtlinge mehr nach Pa- lästina einreisen ließ. Auch Gertrud Harth konnte nicht helfen, denn sie „verfügte weder über einflussreiche Beziehungen noch über finanzielle Mittel, die eine illegale Einreise er- möglicht hätten“. DIE ELTERN STARBEN IM GHETTO Im Zuge dessen erhielt das Ehepaar am 22. Oktober 1941 den Befehl zur Deportation nach Lodz. Ziel war das Ghetto Litzmannstadt – auch Ghetto Lodsch genannt –, das in Polen wäh- rend der deutschen Besetzung von 1939 bis 1944 als jüdisches Sammel- lager diente [Westerkappeln, 2011]. Adele Harth verlor am 30. August 1942 in besagtem Ghetto ihr Leben, Joseph Harth widerfuhr dort circa acht Monate später, am 24. April 1943, das gleiche Schicksal. Dagegen kam Gertrud Harths in Bentheim geborener Bruder Rudolf J. (1906– 1981) mit dem Leben davon: Er hatte noch rechtzeitig nach Palästina emi- grieren können [Formanski, 2020]. Gertrud Harth dürfte in Palästina in den ersten Jahren nicht nur die konstante Sorge um ihre Eltern um- getrieben haben, sondern auch die Schwierigkeit, beruflich Fuß zu fassen oder zumindest eine bezahlte Anstel- lung zu finden: Sie kam zunächst bei den „Workers Health“ und später beim „Sick Fund“ unter – was frei mit „Krankenkasse“ übersetzt werden kann. In die Wissenschaft fand sie dagegen nicht wieder zurück. ALS KOMMANDEURIN IM UNTERGRUND AKTIV Und doch ging sie in Israel ihren Weg: Sie engagierte sich seit den (späten) 1940er-Jahren innerhalb der Untergrundbewegung „Hagana“ (auch „Hagannah“, deutsch: Verteidi- gung). Hier avancierte Harth zur Kommandeurin einer Frauenabtei- lung der Bewegung, die den Namen „Wheels“ trug [Formanski, 2020]. Bei Hagana handelte es sich um eine para- militärische Organisation, die das Ziel verfolgte, die Gründung des Staats Israel herbeizuführen und diesen – nach der im Mai 1948 erfolgten Kon- stituierung – nötigenfalls mit Waffen- gewalt zu verteidigen. Sie wurde dem- entsprechend vom arabischen Gegner – und insbesondere von arabischen Zivilisten – als Bedrohung wahrge- nommen. Umittelbar nach der Staats- gründung wurde die Hagana in die israelischen Verteidigungsstreitkräfte überführt, doch die Zielsetzung blieb dieselbe. Auch beruflich wurde Harth in Israel zur Vorreiterin: Sie eröffnete (ver- mutlich Anfang der 1950er-Jahre) in Haifa eine eigene KFO-Praxis, die dort „zugleich die erste kieferorthopä- dische Einrichtung“ überhaupt war. Seit 1956 ist Harth in Haifa als „städ- tische Orthodontistin“ nachweislich, wo sie das „an der berühmten Bonner Zahnklinik erworbene Wissen zum Einsatz“ brachte [Formanski, 2020]. Ob ihr die Fortsetzung ihrer hoff- nungsvollen Hochschullaufbahn ver- wehrt blieb oder ob sie in Anbetracht ihrer nun gänzlich veränderten Le- benssituation das Interesse an einer wissenschaftlichen Tätigkeit verloren hatte, bleibt offen. Wahrscheinlicher erscheint Letzteres. Tatsächlich finden sich mindestens zwei Gegenbeispiele für aus Deutsch- land immigrierte Zahnärzte, die in Israel eine universitäre Laufbahn ein- schlagen konnten: Julius Michmann (1909–nach 1977) und Heinz Chaim Berendt (1911–1996). Beide waren ebenfalls jüdischer Herkunft, hatten jeweils noch 1933 ihre Promotion zum Dr. med. dent. abschließen kön- nen (an den Universitäten München beziehungsweise Würzburg) und sahen sich in Anbetracht des zunehmenden Antisemitismus und der damit ver- bundenen Repressionen gezwungen, Deutschland zu verlassen. Beide emi- grierten ebenfalls nach Palästina – doch hier enden dann die Parallelen zu Harth. Michmann knüpfte 1942 als konsi- liarischer Zahnarzt der Zahnklinik der Hebrew University Hadassah („Hebräischen Universität“) in Jeru- salem wieder erste Kontakte zur Hochschule. Mitte der 1950er-Jahre wurde er ebenda zum Leiter der ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. Foto: Imago mundi – mit freundlicher Genehmigung von Mag. Priska Kapferer Heinz Ch. Berendt 58 | GESELLSCHAFT

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