Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17

zm 111, Nr. 17, 1.9.2021, (1596) ratung des Patienten über Umfang, Prognose und Therapiealternativen ermöglichen. Eine solche Beratung umfasst neben der Beruhigung des Patienten auch das Angebot supporti- ver Maßnahmen – wie Psychotherapie und Logopädie zur psychisch-emotio- nalen Akzeptanz und zur funktionellen Kompensation möglicher permanen- ter Schäden. Zur initialen Behandlung einer Hyp- oder Parästhesie kommen bei Verdacht auf das Vorliegen einer reversiblen lo- kalen Ursache, wie eines Hämatoms, auch orale Glukokortikoide zum Ein- satz. Bei Patienten mit neuralgischem Schmerzmuster kann die Anwendung von Lidocain-Pflastern oder -Salben in dem entsprechenden Bereich Lin- derung versprechen. Liegt eine post- traumatische Neuropathie vor, kann die systemische Anwendung von An- tidepressiva (wie Amitriptylin) und Antikonvulsivsa (wie Carbamazepin, Gabapentin, Pregabalin) einen The- rapieversuch darstellen [Kämmerer, 2018]. Wie anhand des vorliegenden Falles deutlich wird, ist der Einsatz dieser Medikamente jedoch durch die teilweise schwerwiegenden Neben- wirkungen limitiert. Kompressionen des Nervenkanals, beispielsweise durch zahnärztliche Implantate oder endodontische Be- handlungen, sollten innerhalb von 30 Stunden behoben werden. Die meisten Autoren empfehlen bei nachgewiesener Nervenschädigung eine chirurgische Intervention inner- halb von 60 bis 90 Tagen nach der Diagnosestellung, wohingegen andere Autoren eine wesentlich frühere Intervention innerhalb von 24 bis 48 Stunden postulieren. Einigkeit herrscht jedoch darüber, eine sofortige Rekonstruktion des Nervens anzustre- ben, sollte dieser offensichtlich wäh- rend der Operation beschädigt wor- den sein. Daten aus umfangreichen Studien weisen diesbezüglich auf eine stetig mit jedem Monat zwischen der Schädigung des Nerven und der nachfolgenden chirurgischen Inter- vention um fünf bis elf Prozent sin- kenden Chance zur Wiederherstel- lung der sensorischen Funktion hin [Kushnerev und Yates, 2015]. Eine Übersicht über die vorgeschlagenen Therapiemöglichkeiten findet sich in Tabelle 1. In Anbetracht einer – je nach Schädi- gungsursache und -art – hohen Selbst- heilungsrate, aber auch unter Ein- beziehung signifikant schlechterer Therapieergebnisse nach einer Latenz von sechs Monaten nach dem aus- lösenden Ereignis stellt sich die Frage, wann eine chirurgische Intervention empfohlen ist. Zur Beantwortung die- ser Frage müssen das klinische Be- schwerdebild ebenso wie patienten- spezifische Risikofaktoren, der Lei- densdruck des Patienten, die Chance auf Besserung ohne Intervention und der individuelle Patientenwunsch ein- bezogen werden [Biglioli et al., 2017]. Die klinisch-neurologische Unter- suchung sollte neben der genauen Lokalisation der Ausfälle auch die Art des Defizits mittels Spitz-Stumpf-Dis- krimination, Wärme-, Schmerz- und Druckempfinden umfassen. Auf die- ser Grundlage wird zwischen einem vollständigen und einem teilweisen Ausfall der Nervenfunktion unter- schieden. Neben der intraoperativ darstellbaren Durchtrennung des Nervens stellt auch der postoperative vollständige Funktionsausfall eine Indikation zur Nervenrekonstruktion dar. Gerade bei einem teilweisen Ausfall der Nervenfunktion muss in Abb. 3: Hier ist der Zustand vor Transplantation des Nervus-suralis-Interponats dargestellt: Sicht- bar sind die Unterbrechung des Nervus alveolaris inferior im Verlauf ebenso wie die neurinomartige Struktur im mesialen Anteil des Nervens (Pfeile). Foto: Kämmerer Foto: Kämmerer Abb. 4: Entnahme des Suralis-Interponats vom rechten Knöchel Abb. 5: Zustand nach Transplantation mit nun wiederhergestellter Kontinuität des Nervens in seinem knöchernen Verlauf Foto: Kämmerer DR. ERNST RICHTER Zahnärztliche Praxis Hauptstr. 165, 63875 Mespelbrunn Foto: privat ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 70 | ZAHNMEDIZIN

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