Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17

Alternativ – jedoch nur als ultima ratio – genutzt werden können allo- gene Nervenersatzplastiken (Allografts) von verstorbenen Spendern. Diese er- möglichen eine vergleichbare Rege- neration jedoch unter dem Risiko einer Fremdkörperreaktion gegen das Spendermaterial. Aus diesem Grund ist die Nutzung von Allografts mit einer länger andauernden Immun- suppression mit den bekannten Risi- ken und Nebenwirkungen verbunden. Derzeit noch in Weiterentwicklung befindlich, jedoch schon zur Über- brückung kleinster Distanzdefekte genutzt, sind artifizielle Nerven- schienen aus allogenem oder bio- resorbierbarem Material. Grundsätzlich erfolgt die Vorbereitung der Stümpfe und die Adaptation äquivalent zur primären Nervennaht: Nervenenden werden angefrischt und anschließend die Faszikel mittels interfaszikulärer Naht jeden Einzel- faszikels mit 10–0 oder 11–0 Nylon- fäden adaptiert [Hölzle et al., 2012; Kushnerev und Yates, 2015]. Das Ziel der peripheren Nervenrekonstruktion mit einem Transplantat ist es, die regenerierenden Axone zum distalen Nervenstumpf zu führen und so die Reinnervation des Endorgans zu ermöglichen. Das Transplantat dient hierbei zwar lediglich als Gerüst, lie- fert aber auch Schwann-Zellen, die die axonale Regeneration unterstützen. Unter optimalen Bedingungen erfolgt die axonale Regeneration innerhalb eines Transplantats mit einer Ge- schwindigkeit von 1 bis 1,5 mm pro Tag [Piedra Buena und Fichman, 2021]. Die Basis zur adäquaten Therapie der iatrogenen Nervenverletzung bildet die ausführliche klinische Unter- suchung des Patienten. Sollte eine reversible, akute Ursache für einen Nervenschaden vorliegen, ist diese – soweit möglich – umgehend zu be- heben. Ist eine sofortige Intervention nicht notwendig, wird eine 70- bis 90-tägige Wartezeit zur Evaluierung einer Spontanheilung empfohlen. Liegt zu diesem Zeitpunkt eine Ver- besserung der Nervenfunktion vor, sind weitere sechs Monate Nach- beobachtung indiziert, ansonsten ist entsprechend den Angaben aus Tabelle 1 zu verfahren. Mögliche Therapieformen umfassen hier lokal- medikamentöse oder systemische Maßnahmen. Den Goldstandard zur Therapie einer Durchtrennung des Nervens stellt hingegen die chirur- gische Exploration und Koaptation der Nervenenden dar. ! FAZIT FÜR DIE PRAXIS ! Die Frequenz temporärer Sensibilitäts- defizite nach einer Weisheitszahn- entfernung ist nicht gering; dauerhafte Schäden treten hingegen selten auf. ! Sollte der Verdacht auf eine Schädigung des Nervens bestehen, wird eine frühzeitige Überweisung zu einem Spezialisten empfohlen. ! Mögliche Therapieformen neural- gischer Schmerzen durch eine Nerven- schädigung während der Weisheits- zahnentfernung sind die lokale Therapie mittels Lokalanästhetika, die systemische Behandlung mit Antidepressiva/Neuroleptika sowie die chirurgische Exploration mit anschließender Koaptation der Nervenendigungen. ! Die primäre Adaptation der Nervenenden und die Rekonstruktion (zum Beispiel mittels Nervus-suralis- Interponat) stellen den Goldstandard der chirurgischen Therapie der Kontinuitätsunterbrechung peripherer Nerven dar. UNIV.-PROF. DR. DR. PEER W. KÄMMERER, MA, FEBOMFS Leitender Oberarzt und stellvertretender Klinikdirektor Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Plastische Operationen, Universitätsmedizin Mainz Augustusplatz 2, 55131 Mainz peer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de Foto: privat zm 111, Nr. 17, 1.9.2021, (1599) ZAHNMEDIZIN | 73

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