Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18
Die Biofilmgemeinschaften auf Zahn- und Restaurationsoberflächen sind besonders komplex strukturiert und artenreich, was vermutlich mit dem nicht abschilfernden Charakter dieser Oberflächen zusammenhängt [Lamont et al., 2018]. Zudem unterscheidet sich die Zusammensetzung der Mi- kroorganismen in den verschiedenen Lebensräumen aufgrund der dort vor- herrschenden Lebensbedingungen (beispielsweise Verfügbarkeit von Sauerstoff, Kohlenhydraten, Sulkus- flüssigkeit und Nischen). Darüber hinaus können entgegen früherer Annahmen das Genom sowie gene- tische Mutationen des Wirtsorganis- mus die Diversität, Zusammensetzung und das Vorhandensein bestimmter Mikroorganismen beeinflussen. So besitzen eineiige Zwillinge ähnlichere Mikrobiota als zweieiige Zwillinge und vor allem als nicht verwandte Individuen [Weyrich, 2021]. Die Biofilmformation beginnt binnen weniger Sekunden bis Minuten nach dem Zähneputzen mit der Bildung der sogenannten erworbenen Pellikel [Hannig, 1999; Jong et al., 1984] (Ab- bildung 1). Diese ist ein azellulärer, semipermeabler Film insbesondere aus Speichelproteinen, der auf allen Oberflächen der Mundhöhle und dentaler Restaurationen entsteht. Die Pellikel dient unter anderem der Befeuchtung und dem Schutz des Zahnes. Gleichzeitig bildet sie die Voraussetzung für das Attachment so- genannter Frühbesiedler-Mikroorga- nismen wie grampositiver Kokken und Aktinomyzeten. Diese vermeh- ren sich und bilden Mikrokolonien innerhalb des ersten Tages. Erfolgt keine Reinigung der Zahn- oder Res- taurationsoberfläche, so binden diese Mikrokolonien im Laufe der Zeit weitere Bakterien sowie Pilze im rei- fenden Biofilm. Dabei spielt das soge- nannte Brückenbakterium Fusobacte- rium nucleatum eine zentrale Rolle. Dieses ermöglicht eine Anknüpfung von potenziell pathogenen Spätbe- siedlern wie Aggregatibacter actino- mycetemcomitans, Treponema denti- cola, Porphyromonas gingivalis und Prevotella intermedia an die Früh- besiedler. Vereinfacht lässt sich sagen, dass zu den Frühbesiedlern häufig grampositive, aerotolerante Kokken gehören, während zu den Spätbesied- lern eher gramnegative und anaerobe Stäbchen oder Filamente zählen. Während supragingival häufig aerobe Mikroorganismen vorzufinden sind, leben in der Tiefe des Sulkus vor- nehmlich anaerobe Bakterien [Mark Welch et al., 2016]. Dabei können aerobe Mikroorganismen wie Strepto- kokken Sauerstoff verstoffwechseln und dadurch anaerobe Verhältnisse schaffen [Mark Welch et al., 2016]. Dieser Vorgang spielt beim Übergang von der Symbiose zur Dysbiose des Mikrobioms eine wesentliche Rolle, da viele Pathobionten strikte Anaero- bier sind [Valm, 2019]. Nach etwa 14 Tagen beobachtet man die Loslösung von Mikroorganismen aus dem Bio- film. Bakterien wie Porphyromonas gingivalis, Tannerella forsythia und Pseudomonas aeruginosa können dann im sogenannten planktonischen Zustand vorzufinden sein (Abbildung 1). Nicht organisierte Mikroorganis- men sind in aller Regel schlechter vor äußeren Einflüssen geschützt als ses- sile und weisen seltener Antibiotika- resistenzen auf als im Biofilm einge- bundene Mikroorganismen [Kouidhi et al., 2015]. Die Kleinstlebewesen dieser komplex organisierten Gemein- schaft kommunizieren und inter- agieren mithilfe von Signalmolekülen miteinander. Es kommt zu wechsel- seitigen metabolischen Beziehungen, zur Modulation von Genexpressio- nen und nicht zuletzt zur Weitergabe von Antibiotikaresistenzen. Diese Kommunikation zwischen den Mikro- organismen wird als „Quorum sen- sing“ bezeichnet und beeinflusst die Virulenz eines Biofilms maßgeblich [Abisado et al., 2018]. Grundsätzlich gilt, dass potenziell pa- thogene Keime in der physiologischen Mikroflora vorhanden sind. Besteht ein Gleichgewicht zwischen apatho- genen und pathogenen Mikroorga- nismen, herrschen gesunde Verhält- nisse. Kommt es jedoch zu ökolo- gischen Veränderungen wie einer Ernährungsumstellung oder einer Immunschwäche durch Krankheit, Medikation oder Umwelteinflüsse, so kann ein sogenannter ökologischer Shift in Richtung potenzieller Patho- gene stattfinden (ökologische Plaque- hypothese) [Valm, 2019]. Die dadurch entstehende Dysbiose ist durch eine veränderte Diversität der Mikroorga- nismen sowie ihrer relativen Anteile am Mikrobiom gekennzeichnet und kann die Entwicklung von Erkran- kungen begünstigen [Samaranayake et al., 2021]. BIOFILM-ASSOZIIERTE ERKRANKUNGEN Das mittel- bis langfristige Verweilen potenziell pathogener Biofilme auf Zähnen, Füllungsmaterialien, oralen Weichgeweben, Implantaten und an- derem Zahnersatz kann gesundheit- liche Folgen haben – lokal wie auch systemisch. Selbst wenn keine Zähne mehr vorhanden sind, die von Karies DR. MED. DENT. ELENA GÜNTHER Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde, Universitätsklinikum Leipzig Liebigstr. 12, Haus 1, 04103 Leipzig elena.guenther@medizin.uni-leipzig.de Foto: Robert Wolter Abb. 2: Oberkieferinterimsersatz (oben) und Prothesen-kongruente Rötung der Gaumen- schleimhaut infolge einer insuffizienten Prothesenpflege (unten) Fotos: Elena Günther ZAHNMEDIZIN | 31
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