Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18
zm 111, Nr. 18, 16.9.2021, (1682) Biofilme auf festsitzendem Zahnersatz Zur Herstellung von Kronen und Brücken stehen grundsätzlich Metalle (Nichtedel- und Edelmetalle), zahn- farbene Werkstoffe (Keramiken, Poly- mer-infiltrierte Keramiken, Kompo- site) sowie provisorische Materialien (Polymethylmethacrylat) zur Ver- fügung. Diese können im konventio- nellen Verfahren oder mithilfe der CAD/CAM (computer-aided design/ computer-aided manufacturing)- Technologie gefertigt werden. Werden Metalllegierungen in die Mundhöhle eingebracht, wechselwir- ken diese mit oralen Mikroorganismen und deren Stoffwechselprodukten. Folglich kann es zur Freisetzung von Metallionen kommen, die teilweise antibakteriell wirken, aber auch zu einer eingeschränkten Biokompatibi- lität führen können [Hao et al., 2018]. Hochgoldhaltige Legierungen wiesen nur etwa ein Viertel der Bakterien- menge im Vergleich zu natürlichen Zahnoberflächen auf, wobei die bak- terielle Zusammensetzung vergleich- bar war [Goodson et al., 2001]. Wei- terhin wirkt in Edelmetalllegierungen enthaltenes Kupfer bakterizid, indem es die bakterielle Zellmembran zer- stört und den Zelltod einleitet [Hans et al., 2015]. Eine Studie identifizierte auf Cobalt-Chrom-Legierungen eine größere Biofilmdichte und -vitalität als auf Titan, Feldspat- und Zirko- niumdioxidkeramiken [Souza et al., 2016]. Metalllegierungen und Bio- filme beeinflussen sich wechselseitig, da mikrobielle Stoffwechselprodukte wie Säuren Metalloberflächen korro- dieren und dadurch aufrauen kön- nen. Dies kann zum einen die Bio- adhäsion fördern und zum anderen die mechanischen Eigenschaften der Metallrestauration beeinträchtigen [Zhang et al., 2016]. Immer mehr Patienten äußern den Wunsch, mit einem zahnfarbenen Restaurationsmaterial versorgt zu werden. Neben Keramiken stehen insbesondere Polymer-infiltrierte Ke- ramiken und Komposite für die defi- nitive zahnärztliche Rehabilitation zur Verfügung. Weiterhin finden Polymere wie Polymethylmethacrylat zur Herstellung (langzeit)proviso- rischer Restaurationen Anwendung. Keramischen Restaurationen wird eine hohe Biokompatibilität zuge- sprochen. So verwundert es nicht, dass Keramiken einen im Vergleich zu anderen Werkstoffen höheren Anteil vitalen Biofilms beherbergen [Auschill et al., 2002]. Eine Schweizer Forschungsgruppe untersuchte die Anheftung von Biofilmen auf Zirko- niumdioxid, einer Polymer-infiltrier- ten Keramik und einem Polymer. Dabei wies das Polymer die geringste Bioadhärenz auf, gefolgt von der Po- lymer-infiltrierten Keramik und der Zirkoniumdioxidkeramik [Astasov- Frauenhoffer et al., 2018]. Die Datenlage zur Bioadhäsion auf zahnfarbenen Werkstoffen ist insge- samt jedoch kontrovers. So zeigten einige Forschungsgruppen, dass kera- mische Werkstoffe mehr Biofilm als Komposite akkumulieren [Hauser- Gersprach et al., 2007], andere Unter- suchungen wiederum kamen zu ge- genteiligen Ergebnissen [Aykent et al., 2010; Tanner et al., 2005; Eick et al., 2004]. Lange Zeit galt die her- kömmliche Meinung, dass Kompo- site eine stärkere Biofilmbildung be- günstigen als Keramiken [Svanberg et al., 1990]. Da jedoch die Gruppe der Komposite durch ihre teilweise sehr unterschiedliche Zusammensetzung heterogen ist, kann diese Aussage nicht pauschal getroffen werden. Makrogefüllte Komposite älterer Generationen haben beispielsweise eine höhere Rauigkeit und bedingen in der Tat eine stärkere Biofilm- akkumulation als moderne hybrid- gefüllte Komposite [Ionescu et al., 2012]. Sicherlich hängen die For- schungsergebnisse von den verwen- deten Werkstoffen, deren Verarbei- tung, den genutzten Bakterienstäm- men und nicht zuletzt vom Studien- design ab; viele Studien wurden zu- dem unter Laborbedingungen durch- geführt, daher können die Ergebnisse nicht in toto in die Klinik übertragen werden. Mittlerweile können Komposite auch im indirekten, computergestützten Verfahren verarbeitet werden (CAD/ CAM) und für die Herstellung provi- sorischer und definitiver Einzelzahn- versorgungen dienen. Die Material- blöcke, aus denen die Restaurationen gefräst werden, sind industriell vorge- fertigt und weisen eine homogene Zusammensetzung sowie eine opti- male Polymerisation auf. Es ist denk- bar, dass CAD/CAM-gefertigte Werk- stücke neben vorteilhaften mecha- nischen Eigenschaften [Stawarczyk et al., 2015] auch über eine geringere Biofilmanheftung verfügen [Ionescu et al., 2020]. Biofilme auf herausnehmbarem Zahnersatz Mit zunehmendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit für die Entste- hung von Allgemeinerkrankungen und den damit verbundenen Ein- bußen bei der Bewältigung alltäg- licher Aufgaben. Mit abnehmender Sehkraft und sich verschlechternden kognitiven und feinmotorischen Fähigkeiten wird die Mund- und Prothesenhygiene für den alternden Patienten zur Herausforderung. Etwa 30 Prozent der pflegebedürftigen älte- ren Senioren zwischen 75 und 100 Jahren geben an, Hilfe bei der täg- lichen Zahn- und Prothesenpflege zu benötigen [Jordan/Micheelis, 2016]. Aufgrund der hohen pflege- rischen Arbeitslast des Pflegeperso- nals bleibt teilweise nur wenig Zeit, um die Bewohner von Pflegeeinrich- tungen bei ihrer täglichen Mund- und Prothesenhygiene zu unterstüt- zen. Zudem können Berührungs- ängste, Schwierigkeiten bei der Er- ANNE KATHARINA SCHMUTZLER Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde, Universitätsklinikum Leipzig Liebigstr. 12, Haus 1, 04103 Leipzig Foto: Ingolf Riemer ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 36 | ZAHNMEDIZIN
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