Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18
zm 111, Nr. 18, 16.9.2021, (1692) DISKUSSION In der aktuellen, überarbeiteten S3- Leitlinie (Stand August 2019) der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kie- fer- und Gesichtschirurgie (DGMKG) und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) zur operativen Entfernung von Weisheitszähnen stellen die Anam- nese, die klinische Untersuchung und die radiologische Bildgebung zur Dar- stellung des Zahnstatus die zentrale Rolle in der Therapieentscheidung dar [DGZMK, 2019]. Falls die Weisheitszähne klinisch so- wie röntgenologisch unauffällig sind, können sie durchaus belassen werden. Sie können kieferorthopädisch einge- gliedert oder für eine prothetische Versorgung verwendet werden. Das Belassen der Weisheitszähne wird zu- dem empfohlen, wenn die Zähne tief impaktiert und verlagert sind. Es wird davon abgeraten die Zähne zu entfer- nen, falls die Operation ein zu hohes Risiko für weiterführende Komplika- tionen birgt [DGZMK, 2019]. Doch auch das Belassen der Zähne kann Komplikationen nach sich ziehen. Diese entwickeln sich häufiger im Alter zwischen 18 und 35 Jahren [Fernandes et al., 2010]. Dazu werden Infektionen durch Perikoronitis, die Resorption der Wurzeln des Nachbar- molaren, dessen parodontale Schädi- gung und die Entwicklung von Karies gezählt. Außerdem können sich den- togene Zysten, Neoplasien und Ok- klusionsstörungen durch Elongation oder Kippung der Nachbarzähne ent- wickeln [DGZMK, 2019; Pratt et al., 1998]. Die operative Entfernung der Weis- heitszähne wird unter anderem bei akuten oder chronischen Infektionen, bei unklaren Gesichtsschmerzen und bei nicht restaurierfähigen Zähnen empfohlen. Allgemeine Komplika- tionen der Weisheitszahnentfernung können postoperative Infektionen mit Schwellung und Schmerz, die Schädi- gung der zweiten Molaren, mögliche Kieferfrakturen, die Eröffnung des Sinus maxillaris sowie perioperative und anästhesiologische Komplikatio- nen sein [DGZMK, 2019; McGrath et al., 2003; Lim et al., 2012]. Bei einer sehr nahen Lage der Zahnwurzeln zum N. alveolaris inferior besteht zudem ein erhöhtes Risiko einer Nervenschä- digung. So kann es bei röntgenologisch nachgewiesener enger Lagebeziehung in bis zu 20 Prozent der Fälle zu tem- porären und in ein bis vier Prozent zu permanenten Sensibilitätsstörungen kommen [Renton, 2012]. Das Risiko der Nervenschädigung nimmt dabei mit der Nähe der Zahnwurzel zum Mandibularkanal zu [Eyrich et al., 2011]. Besondere Risikofaktoren für die Schädigung des N. alveolaris inferior (die Rate wird im Bereich von 0,26 bis 8,4 Prozent [Leung und Cheung, 2011] angegeben) sind beispielsweise ein erhöhtes Alter (über 25 Jahre), im- paktierte Weisheitszähne sowie eine Exposition des Nervs. Risikofaktoren für die Verletzung des Nervus lingualis (in 0,1 bis 22 Prozent der Fälle [Leung und Cheung, 2011]) stellen linguale Lappenplastiken, eine linguale Split- Technik und sehr tief verlagerte Weis- heitszähne [Leung und Cheung, 2011; Chuang et al., 2007] dar. Patienten erfahren bei verletztem N. alveolaris inferior Parästhesien, Anästhesien oder Dysästhesien der Lippe, des Kinns oder der bukkalen Gingiva, wohingegen sie bei Schädigung des N. lingualis unter veränderter Empfindung an der Zunge mit der Gefahr einer Geschmacksstö- rung leiden. Bei einigen der Patienten bleiben die Sensibilitätsstörungen dauerhaft bestehen [Blondeau und Daniel, 2007; Jerjes et al., 2006], sind schwierig zu therapieren und schränken die Patienten sehr in ihrer Lebens- qualität ein [Smith et al., 2013]. Wenn schonend operiert wird, geht man bei Weisheitszahnentfernungen aber dennoch von einem geringen Komplikationsrisiko aus. Die post- operative Alveolitis/Wundinfektion wird als häufigste Komplikation be- schrieben [Voegelin et al., 2008]. Die Inzidenz variiert hier von Studie zu Studie stark, vom niedrigsten Wert von 0,5 Prozent bis hin zum höchs- Quelle: Universitätsmedizin Mainz Abb. 6: Kasuistik 1: Die Panoramaschichtaufnahme postoperativ zeigt suffiziente Koronektomie rechts ohne verbliebene Schmelzanteile sowie leere Alveolen in Regio 38 und 28. Quelle: Universitätsmedizin Mainz Abb. 7: Kasuistik 2, Ausgangssituation im DVT 2014: Lage des Nervenkanals zwischen den vestibulär und lingual in der Unterkiefer- Kortikalis endenden Wurzel des tief vertikal verlagerten Zahnes 38 46 | ZAHNMEDIZIN
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