Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 19
zm 111, Nr. 19, 1.10.2021, (1786) INTERVIEW MIT DR. FARZANA NAWABI „Die Taliban werden mich nie als Präsidentin arbeiten lassen!“ Warum wollten Sie Zahnärztin werden? Dr. Farzana Nawabi : Der Grund, warum ich Zahnmedizin studiert habe, ist, dass es in Afghanistan we- niger Zahnärztinnen als Zahnärzte gab. Ich habe am Lehrkrankenhaus für Zahnmedizin der Medizinischen Universität Kabul gearbeitet. Sie haben auch angehende Zahnmediziner ausgebildet. Etwa 1.000 Zahnärzte arbeiten in Afghanistan. Mehr als 200 Zahn- ärzte und Zahnärztinnen wurden von mir in sieben Jahren im Lehr- krankenhaus ausgebildet. Haben in den vergangenen Jahren viele Frauen Zahnmedizin studiert? Wie schätzen Sie die Entwicklung ein? In den letzten Jahren waren mehr als 60 Prozent der Studierenden an der zahnmedizinischen Fakultät Frauen. Ich bin wirklich in Sorge um die Zukunft der Zahnmedizin in Afghanistan, besonders für Frauen. Die Taliban lassen sie nicht mehr arbeiten und studieren. Ich habe Kontakt zu meinen männlichen und weiblichen Freunden aus der Zahn- medizin. Alle machen sich Sorgen um ihre Karriere, ihre Zukunft. Ich bin nicht optimistisch, was meine Zukunft in Afghanistan angeht, des- halb versuche ich, einen Weg zu fin- den, aus Afghanistan zu kommen. Viele Wissenschaftler und Mediziner haben das Land bereits verlassen und viele weitere suchen einen Weg. Was bedeutet die Machtübernahme der Taliban für die Afghanistan Dental Association und für Sie? Die derzeitige Situation in Kabul ist schrecklich. Man kann sich nicht vorstellen, was hier vor sich geht. Als weibliche Arbeitskraft lassen mich die Taliban ohne einen Mann aus meiner Familie nicht mehr aus dem Haus. Noch lebe ich in Kabul, aber ich will hier nicht mehr bleiben. Wir haben die Afghanistan Dental Association (ADA) 2013 gegründet und keine Hoffnung für unsere Zukunft. Die Taliban werden mich nie als Präsidentin arbeiten lassen, weil ich eine Frau bin und sie nie eine Frau als Anführerin zulassen. STUDENTINNEN IN AFGHANISTAN Afghanistan setzt beim Studium wieder auf Geschlechtertrennung, teilte der Bildungsminister der Taliban, Abdul Baki Hakkani, am 12. September in Kabul mit. Da Studentinnen nur noch von Frauen unterrichtet werden sollen, könnten Frauen bald von der Hochschulbildung ausgeschlossen werden. Denn an den Hochschulen gibt es zu wenig Personal und finanzielle Mittel, um getrennten Unterricht zu ermöglichen. Außerdem sollen Kleider- vorschriften für Frauen gelten: Sie müssen an der Universität eine Abaya, ein islamisches Überkleid, tragen und ihr Gesicht mit einem Schleier verhüllen. Dr. Farzana Nawabi ist die Präsidentin der Afghanistan Dental Association (ADA). Die 41-Jährige hat von 2001 bis 2008 an der medizinischen Universität in Kabul Zahnmedizin studiert. Sie arbeitete drei Jahre lang als allgemeine Zahn- ärztin in einer Privatpraxis, obwohl dies für sie als Frau eine besondere Heraus- forderung gewesen sei, da die meisten Einwohner lieber einen männlichen Zahnarzt aufgesucht hätten. Später hat sie vier Jahre lang in einem Lehrkranken- haus gearbeitet und sich als Fachzahn- ärztin für MKG-Chirurgie weitergebildet. Als Studentin war sie Mitglied der afghanischen Studentenvereinigung für Zahnmedizin und besuchte Vorlesungen des Canadian Armed Forces Dental Corps. In Zusammenarbeit mit dem zahnärztlichen Korps und der Canadian Dental Association half sie 2009 bei der Gründung der Kabul Dental Association. Im Jahr 2012 wurde die Organisation zur Afghanistan Dental Association erweitert und Nawabi wurde 2013 zur ersten Präsidentin der Organisation ernannt. Foto: privat 12 | GESELLSCHAFT
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