Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 19

zm 111, Nr. 19, 1.10.2021, (1810) Technik abhängig ist, wobei die sagittale Unterkieferosteotomie das höchste Risiko mit sich bringt [McLeod und Bowe, 2016]. Diese Nervenschäden und die daraus resultierenden sensiblen Ausfälle können die Lebensqualität der betrof- fenen Patienten deutlich reduzieren. Für bestimmte Berufsgruppen, zum Beispiel Köche oder Blasmusiker, die auf die Sensibilität der Unterlippe angewiesen sind, kann ein solches Sensibilitätsdefizit sogar von beruf- licher Bedeutung sein [Cakir et al., 2018]. Als weitere Komplikation können „Bad Splits“ auftreten, bei denen der Unterkiefer nicht in den vorge- gebenen Osteotomielinien und chi- rurgisch erzeugten Sollbruchstellen bricht und es beispielsweise zu einer Fraktur des Kiefergelenks kommen kann. Hier werden entsprechend der Literatur Inzidenzen von circa 0,7 bis 2,3 Prozent angegeben. „Bad Splits“ können in Abhängigkeit von der Lo- kalisation und deren Ausmaß einen Abbruch der Operation und einen weiteren späteren Eingriff erforder- lich machen. Eine häufige Form des „Bad Splits“ ist die ungewollte Fraktur des bukkalen proximalen Knochensegments, wobei die genauen anatomischen Ursachen noch weitgehend ungeklärt sind [Steenen und Becking, 2016; Falter et al., 2010]. Ein systematisches Review berichtete einen durchschnittlichen Blutverlust von rund 436,11 ml (± 207,89 ml) bei einer durchschnittli- chen OP-Zeit von 200 Minuten bei bimaxillären Umstellungsosteoto- mien [Pineiro-Aguilar et al., 2011]. Ein weitere Komplikation ist zum Bei- spiel eine Fehlpositionierung des Kie- fergelenks, die allerdings bei allen möglichen chirurgischen Techniken auftreten kann [Shin und Kim, 2018]. Zur Vermeidung der genannten Kom- plikationen, besonders des Nerven- schadens, wurde die hohe schräge Unterkieferosteotomie eingeführt, die im Wesentlichen dem Prinzip von Perthes und Schlössmann aus dem Jahr 1922 folgt, allerdings im Unter- schied zu diesem von intraoral durch- geführt wird [Thiele et al., 2016]. Die- ses chirurgische Verfahren beinhaltet lediglich eine einzige Osteotomielinie am aufsteigenden Unterkieferast, die diesen in einen gelenktragenden und einen zahntragenden Anteil aufspal- tet [Landes et al., 2014]. Die hohe schräge Unterkieferosteo- tomie bietet einige Vorteile sowie mögliche Limitationen gegenüber der sagittalen Unterkieferosteotomie. Vorteile sind das reduzierte Risiko von Nervenverletzungen des N. alve- olaris inferior und von „Bad Splits“ sowie das verminderte Blutungsrisiko. Zusätzlich kann die Operationszeit durch das etwas einfachere chirurgi- sche Verfahren reduziert werden. Ins- gesamt sind bei der hohen schrägen Unterkieferosteotomie weniger Kom- plikationen zu beobachten, wobei dies natürlich auch wesentlich von der Erfahrung des Operateurs abhängt [Landes et al., 2014; Kaduk et al., 2012; Herrera-Vizcaino et al., 2021]. Diese Komplikationen können durch die Verwendung patientenspezifischer 3-D-gedruckter Sägeschablonen wei- ter verringert werden und die hohe schräge Unterkieferosteotomie im Rahmen der Dysgnathiechirurgie weiter optimieren; insbesondere kann die Osteotomie so leicht über dem Eintritt des Nervens erfolgen und der Nerv sowie sein Eintritts- punkt in den Unterkiefer müssen nicht lingual dargestellt werden. Ein möglicher Nachteil der hohen schrägen Unterkieferosteotomie gegen- über der sagittalen Osteotomie kann in der geringeren Knochenanlage- rungsfläche gesehen werden. Diese kann neben einer nicht optimalen knöchernen Regeneration auch in ei- ner verringerten Stabilität der Osteo- synthese resultieren, was wiederum in Plattenfrakturen, Schraubenlocke- rungen oder einer erhöhten Rezidiv- gefahr resultieren kann. Dieses Risiko besteht besonders bei größeren Ver- lagerungsstrecken, die die knöcherne Anlagerungsfläche weiter reduzieren. Allerdings kann dieser Effekt im Rah- CME AUF ZM-ONLINE 3-D-gedruckte Sägeschablonen für die hohe schräge Unterkieferosteotomie Für eine erfolgreich gelöste Fortbildung erhalten Sie zwei CME-Punkte der BZÄK/DGZMK. Abb. 3: Die intraoperative Situation zeigt die hohe schräge Osteotomie des rechten aufsteigenden Unterkieferastes (weißer Pfeil) mit dem kranialen gelenktragenden Anteil (schwarzer Stern) und dem kaudalen zahntragenden Anteil (weißer Stern). Foto: Kämmerer DR. MED. DANIEL MÜLLER Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – plastische Operationen, Universitätsmedizin Mainz Augustusplatz 2, 55131 Mainz Foto: privat 36 | ZAHNMEDIZIN

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