Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 19

zm 111, Nr. 19, 1.10.2021, (1860) MKG-CHIRURGIE Die differenzialdiagnostische Betrachtung zervikaler Raumforderungen Benedict Jürgensen, Franz-Josef Kramer, Valentin Wiedemeyer Lymphadenopathie oder laterale Halszyste? Stetig größenprogrediente zervikale Schwellungen können verschiedene Ursachen haben – auch odontogene Faktoren kommen infrage. Ein zeitliches Zusammentreffen von Schwellung und Beschwerden im Mundraum kann aber auch zufällig auftreten. Ist die Ursache in der Zahnarztpraxis nicht zweifelsfrei zu ermitteln, empfiehlt sich die zeitnahe Überweisung an den Spezialisten. D ie Symptomatik und die Be- fundkonstellation einer latera- len Halszyste mit deutlich ver- ändertem Aussehen sind für die betroffene Patienten meist beängs- tigend und belastend. Häufig mani- festiert sich diese Erkrankung in der zweiten oder in der dritten Lebens- dekade – wir stellen einen Patienten- fall aus dieser Altersgruppe vor [Glosser et al., 2003]. Für die Entstehung einer lateralen Halszyste existieren mehrere Theo- rien, die sich seit der Ersterwähnung im Jahr 1832 durch Ascherson ent- wickelt haben [Golledge und Ellis, 1994]. Die gängige Theorie beschreibt eine Fehlentwicklung in der Embryo- nalphase, und zwar die Persistenz des Sinus cervicalis. Die anatomische Struktur des Sinus cervicalis entsteht aus dem zweiten, dritten und vierten Schlundbogen. Physiologisch bildet sich dieser Hohlraum selbstständig zurück. Wird diese Rückbildung nicht initiiert, verbleibt ein Residuum, das in der Regel nicht unmittelbar kli- nisch apparent wird. Als Auslöser für eine symptomatische Vergrößerung wird eine Infektion der Atemwege vermutet. Auch eine odontogene Infektion als möglicher Stimulus wurde durch Jänicke et al. im Jahr 1994 postuliert [Jänicke et al., 1994]. Folglich sehen sich auch Zahnärzte mit Patienten konfrontiert, die initial eine dentale Problematik be- merkt haben und die anschließend entstandene Schwellungszunahme im zahnärztlichen Zusammenhang sehen. Als Goldstandard wird die frühzeitige operative Entfernung gesehen, wobei auf eine präzise Mitnahme aller asso- ziierten Strukturen zu achten ist, um keine Residuen zu hinterlassen. Zuwartendes Verhalten und eine Operation erst bei Symptomatik sind nach aktuellem Stand der Wissen- schaft nicht empfohlen. Grund dafür ist, dass die Wahrscheinlichkeit einer Zysteninfektion steigt und die In- toto-Exstirpation aufgrund von Ver- wachsungen erschwert oder gar unmöglich gemacht würde [Muller et al., 2015]. Ausnahmen hiervon könnten sehr junge Patienten sein, da in diesem Fall das Größenverhält- nis von Zyste zu Hals nachteilig ver- ändert wäre. Weitere Verfahren wie Inzision mit Drainage sowie Sklero- therapie haben sich nicht durchset- zen können. Dem Credo „Häufiges ist häufig und Seltenes ist selten“ folgend sind bei BENEDICT JÜRGENSEN Universitätsklinikum Bonn, Klinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie Venusberg – Campus 1, Haus 11, 2. OG; 53127 Bonn benedict.juergensen@ukbonn.de Foto: UK Bonn Abb. 1: Patientenansicht von ventral, Schwellungszone rot markiert Foto: MKG UK Bonn 86 | ZAHNMEDIZIN

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