Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 20

zm 111, Nr. 20, 16.10.2021, (1940) schiedlichem Ausmaß transistorische Bakteriämien mit Endokarditis-typi- schen Erregern (unter anderem orale Streptokokken der sogenannten Vi- ridansgruppe und Staphylococcus aureus) entstehen [Lockhart, 2000; Fowler et al., 2005]. Tabelle 1 listet entsprechend den Empfehlungen der American Heart Association [Wilson et al., 2007] und dem Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Kar- diologie – Herz- und Kreislauffor- schung e. V. [Naber et al., 2015] die Patientengruppen mit dem höchsten Endokarditisrisiko auf. Ob grundsätzlich alle Endokarditis- gefährdeten Patienten oder nur die- jenigen mit vorhandenen kardialen Problemen eine antibiotische Endo- karditisprophylaxe benötigen, ist um- stritten [Gould et al., 2006; Wilson et al., 2007]. BEHANDLUNGSKONZEPTE Behandlungsplanung und -ablauf Unter welchen zusätzlichen Vorkeh- rungen eine zahnärztliche Behandlung bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen durchgeführt wird, ist abhängig von der Belastbarkeit und dem Befinden des Patienten sowie von der Art und dem Umfang der ge- planten Maßnahmen. Hilfreich zur Beurteilung der Behand- lungsfähigkeit eines Patienten ist neben der Einteilung der kardialen Leistungsfähigkeit nach den NYHA- Stadien I–IV [Dolgin et al., 1994] eine Abschätzung des perioperativen Risi- kos nach den ASA-Klassen. Die ASA- Risikoklassifikation ist eine von der American Society of Anesthesiologists (ASA) vorgeschlagene Einstufung von Patienten entsprechend ihrer prä- operativen physischen Beschaffen- heit [Doyle et al., 2020]: \ ASA 1: Gesunder Patient \ ASA 2: Patient mit geringfügiger Erkrankung ohne Einschränkungen \ ASA 3: Patient mit Erkrankung mit deutlicher Beeinträchtigung \ ASA 4: Patient mit lebens- bedrohlicher Erkrankung \ ASA 5: Moribunder Patient, der ohne Operation wahrscheinlich nicht überleben wird \ ASA 6: gestorbener Patient mit festgestelltem Hirntod, Organspender Behandlungen mit einem geringen Blutungsrisiko (restaurative und pro- thetische Versorgungen sowie Zahn- reinigungen und geschlossene PAR- Behandlungen) sind bei kardial nicht stark beeinträchtigten Patienten (ASA-Klassen 1 und 2 und NYHA-Sta- dien I und II) auch in der allgemei- nen Zahnarztpraxis unter strenger Einhaltung bestimmter Vorsichts- maßnahmen (Monitoring und Erste- Hilfe-Ausstattung) möglich. Alle üb- lichen Medikationen, vor allem Anti- hypertensiva und Antikoagulanzien, sollten regulär beibehalten werden. Bei Patienten mit einem stark redu- zierten Allgemeinzustand (ASA-Klas- sen 3–5, NYHA-Stadien III und IV), Zustand < 6 Monate nach Herzinfarkt und Schlaganfall oder nach großen kardiochirurgischen Eingriffen soll- ten invasive oder risikoreiche Be- handlungsmethoden so lange aufge- schoben werden, bis sich der Gesund- heitszustand stabilisiert hat. Nicht aufschiebbare Notfallbehandlungen sollten durch einen Spezialisten oder stationär durchgeführt werden. PATIENTEN MIT DEM HÖCHSTEN RISIKO EINER INFEKTIÖSEN ENDOKARDITIS • Patienten mit einem Klappenersatz (mechanische und biologische Prothesen) • Patienten mit rekonstruierten Klappen unter Verwendung von alloprothetischem Material in den ersten sechs Monaten nach der Operation • Patienten mit einer überstandenen Endokarditis • Patienten mit bestimmten angeborenen Herzfehlern • Patienten mit zyanotischen Herzfehlern, die nicht oder palliativ mit einem systemisch-pulmonalem Shunt operiert sind • Patienten mit operierten Herzfehlern wie implantierten künstlichen Verbindungen zwischen zwei Herzanteilen (mit oder ohne Klappe) oder residualen Defekten, das heißt turbulenter Blutströmung im Bereich des prothetischen Materials • Patienten nach Herztransplantation Tab.1, Quelle: [Wilson et al., 2007], [Naber et al., 2015] Abb. 2: Überwachung der Herzfrequenz (amp) und Sauerstoffsättigung (SpO2) mithilfe eines Pulsoxymeters Foto: Peter Cichon 46 | ZAHNMEDIZIN

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