Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 20
zm 111, Nr. 20, 16.10.2021, (1942) Allgemeiner Gesundheitszustand und Anamnese Bei allen Personen mit Herz-Kreislauf- Erkrankungen sollte jedes Mal vor Behandlungsbeginn der aktuelle Gesundheitszustand überprüft und nach Veränderungen des Befindens und der aktuellen Medikation gefragt werden. Von großer Bedeutung ist hierbei die Überprüfung der vom Pa- tienten eingenommenen Antikoagu- lans-Medikamente. Jede Veränderung des gesundheitlichen Zustands und der Medikation muss schriftlich do- kumentiert werden. In den meisten Fällen ist es notwendig, die übliche allgemeinmedizinische Anamnese durch eine Konsultation des behan- delnden Haus- oder Facharztes zu ergänzen. Diagnostik Zur Beurteilung des oralen Zustands gehört eine gründliche Inspektion der Zähne, des Zahnhalteapparats, der benachbarten Weichgewebe und des Pflegezustands des Gebisses. Zur Absicherung der Diagnose sollten Röntgenbilder zur Identifizierung möglicher ossärer Entzündungs- oder Abbauprozesse angefertigt werden. Aufklärung und Einverständniserklärung Der Patient und gegebenenfalls seine Angehörigen sind in die Entschei- dungsfindung über mögliche thera- peutische Maßnahmen eingebunden. Es folgt eine Aufklärung über die er- hobenen Befunde, die Diagnose, die therapeutischen Möglichkeiten und Alternativen, den Behandlungsablauf, den Therapieerfolg, Behandlungsrisi- ken und die Folgen der Unterlassung der Behandlung [BÄK, 2014]. Vor Operationen sollten Patienten mit einer gerinnungshemmenden Therapie darüber informiert werden, dass trotz aller Vorsichtsmaßnahmen mit möglichen postoperativen Nach- blutungen gerechnet werden muss. Zusätzlich sollten sie über Verhaltens- maßnahmen (Schonung der Wunde, keine hyperämisierenden Speisen) aufgeklärt sowie über die Erreichbar- keit eines zahnärztlichen Notdienstes im Fall einer Nachblutung außerhalb der regulären Sprechstunde infor- miert werden. Hervorzuheben ist, dass der erstellte Behandlungsplan sowie der Behandlungsablauf schrift- lich fixiert und vom Patienten und/ oder von den Angehörigen oder ge- setzlichen Vertretern unterschrieben werden sollte. Monitoring und Erste-Hilfe-Ausstattung Risikopatienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen sollten beginnend mit der Lokalanästhesie während der zahnärztlichen (chirurgischen) Behandlung lückenlos durch ein Mo- nitoring überwacht werden. Hierbei können mit einem Pulsoxymeter am Finger die Sauerstoffsättigung (SPO 2 ) und der Puls kontrolliert werden (Ab- bildung 2). Bei zahnärztlich-chirurgi- schen Eingriffen unter Lokalanästhe- sie – mit oder ohne Prämedikation – kann somit ein potenzielles Absinken der Sauerstoffsättigung rechtzeitig er- kannt und behandelt werden. Die Messung des Blutdrucks und gegebe- nenfalls des Herzrhythmus mithilfe eines (1-Kanal-)EKG-Geräts kann das Monitoring vervollständigen (Abbil- dung 1). Zusätzlich sollten eine Stan- dard-Erste-Hilfe-Ausstattung mit Sau- erstoff und ein AED (automatischer externer Defibrillator) bereitgestellt werden. Analgesie und Sedierung Die örtliche Betäubung ist ein un- verzichtbarer Bestandteil bei den meisten invasiven zahnärztlichen Behandlungen, da sie zur Schmerz- freiheit und damit auch erheblich zur Stressreduktion beiträgt. Bei Patien- ten mit (schweren) Herz-Kreislauf- Erkrankungen müssen die üblichen Vorsichtsmaßnahmen wie zum Bei- spiel eine langsame Injektion am liegenden Patienten sowie eine mehr- malige Aspiration zur Vermeidung einer intravasalen Injektion streng beachtet werden. Darüber hinaus sollten möglichst ge- ringe Lokalanästhesie-Mengen appli- ziert, Grenzdosen des Lokalanästheti- kums und des Vasokonstriktors nicht überschritten und der Kontakt mit dem Patienten nicht unterbrochen werden. Bei den Injektionstechniken sollte möglichst diejenige mit dem geringsten Risiko einer Gefäßverlet- zung angewendet werden [Kämmerer und Al-Nawas, 2018], wobei hervor- zuheben ist, dass das intraligamen- täre Anästhesieverfahren bei Endo- karditis-gefährdeten Patienten zu ver- meiden ist. Extreme Angst- und Erregungs- zustände vor umfangreichen (chi- rurgischen) Eingriffen können durch eine geeignete Medikation reduziert werden (Anxiolyse). Wie bei allen Verfahren der medikamentösen Se- dierung müssen die organisatorischen, personellen und technischen Voraus- setzungen gegeben sein [Philippi- Höhne et al., 2013; American Society of Anesthesiologists, 2002]. Auf Ein- griffe in Vollnarkose sollte nach Mög- lichkeit verzichtet werden. Lässt sich eine Vollnarkose nicht umgehen, dann sollte diese in einem geeigneten Kompetenzzentrum erfolgen. Zahnärztliche Behandlung bei Patienten unter Antikoagulanzientherapie Obwohl zahnärztliche Behandlungen (inklusive chirurgischer Eingriffe) generell mit einem nur niedrigen Blutungsrisiko bewertet werden [Hoffmeister et al., 2010], empfiehlt es sich, vor Beginn der Behandlung ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. DR. STEFAN KLAR Zahnklinik Bochum und Therapiezentrum für Zahnbehandlungsangst Bergstr. 28, 44791 Bochum und Externer Lehrbeauftragter der Universität Witten/Herdecke Alfred-Herrhausen-Str. 45, 58455 Witten Quelle: Zahnklinik Bochum 48 | ZAHNMEDIZIN
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