Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 20
zm 111, Nr. 20, 16.10.2021, (1945) gen erfordern [Hellstein et al., 2011]. Zunächst gelten für alle parodontalen und chirurgischen Eingriffe dieselben Voraussetzungen wie für andere invasive Eingriffe in Hinblick auf Überwachung der Vitalparameter, Be- achtung der Medikation und Begleit- erkrankungen. \ Supra- und subgingivale Belagskontrolle: Die Therapie von entzündlichen Parodontalerkrankungen und medikamentös assoziierten gingi- valen Wucherungen beschränkt sich zunächst auf eine schonende, aber gründliche Entfernung der supra-und subgingivalen Hart- und Weichablagerungen mit dem Ziel, den Verlauf der krankhaften Pro- zesse bis zu einem bestimmten Ausmaß unter Kontrolle halten zu können. Die Durchführung orientiert sich an den Vorgaben der aktuellen Leitlinien zur Be- handlung der Parodontitis-Stadien I bis III [Kebschull et al., 2020; Sanz et al., 2020]. Patienten mit bestimmten Herz- erkrankungen benötigen zur me- chanischen Therapie parodontaler Entzündungen eine systemische und gegebenenfalls auch lokale anti- mikrobielle Unterstützung, da eine subgingivale Instrumentierung zu einer Bakteriämie führen kann. Die antibiotische Abschirmung dieser Patientengruppe mit einer parodontalen Erkrankung sollte dann nicht nur als „Single-Shot“ erfolgen. Entsprechend den aktuel- len Leitlinien zur Antibiotikagabe bei subgingivaler Instrumentierung im Rahmen einer systematischen Parodontitistherapie kann eine Therapie mit Amoxicillin allein und oder in Kombination mit Me- tronidazol für eine Woche indiziert sein [Jockel-Schneider et al., 2018]. Eine subgingivale Instrumentie- rung im Sinne einer geschlossenen Taschentherapie kann in der Regel je nach Entzündungszustand auch unter Fortsetzen einer Antikoagu- lanzientherapie mittels DOAKs und bei einer Macumarisierung bis zu einem INR < 3 möglich sein. Eine Wundverbandplatte in Form einer Tiefziehschiene, die den Gin- givalsaum überdeckt, ist in diesen Fällen häufig hilfreich. \ Chirurgische Eingriffe: Zu den chirurgischen Eingriffen bei Patienten mit kardiovaskulären Problemen gehören neben den weiterführenden parodontalchirur- gischen Methoden die Behandlung beziehungsweise Entfernung peri- apikaler Entzündungen oder tief zerstörter Zähne, die Abszess- spaltung und die Insertion von Fremdkörperimplantaten. Zu- nächst muss entschieden werden, ob bestimmte Operationen in der allgemeinen Zahnarztpraxis vor- genommen werden können oder ob die betroffenen Patienten zu einem Facharzt gegebenenfalls zur stationären Behandlung über- wiesen werden sollten. Dies ist ab- hängig von der Art und Schwere der kardialen Erkrankung, der damit verbundenen Medikation (Antikoagulation), der Belastbar- keit des Patienten sowie dem Um- fang des geplanten Eingriffs. Unter Beachtung der oben beschriebenen Vorsichtsmaßnahmen können bei nicht zu stark beeinträchtigten Patienten (ASA-Klassen 1 und 2 und NYHA-Stadien I und II) ein- fache chirurgische Maßnahmen mit einem niedrigen oder einem mittleren Blutungsrisiko auch von einem niedergelassenen Allgemein- zahnarzt durchgeführt werden. Palliativtherapie Die (Notfall-)Behandlung von Patien- ten mit schweren (lebensbedrohlichen) kardialen Erkrankungen (ASA-Klassen 4 und 5, NYHA-Stadien III und IV) beschränkt sich auf absolut notwen- dige Maßnahmen: die Beseitigung und Vermeidung von Schmerzen, eine Infektionskontrolle gegebenen- falls mit Mundhygienemaßnahmen und – so weit wie möglich – den Er- halt von minimalen Kaufunktionen. Zusätzlich kann die Durchführung der häuslichen Zahnpflege durch Spülung mit 0,06 Prozent Chlorhexi- din-Lösung mit 250 ppm Fluorid wir- kungsvoll unterstützt werden. Prävention und Nachsorge Der Erhalt einer gesunden Dentition ist für gerade für Patienten mit Herz- Kreislauf-Erkrankungen von großer Bedeutung. Zum einen können durch die Besonderheit ihres körperlichen Zustands erhebliche Probleme bei der zahnärztlichen Behandlung ent- stehen, zum anderen kann ein er- kranktes Gebiss einen ungünstigen Einfluss auf den Verlauf ihrer Erkran- kung haben. So weisen zahlreiche Studien auf einen Zusammenhang von Parodontitis und parodontal- pathogenen Keimen mit kardio- vaskulären Erkrankungen hin [Schen- keln/Loos, 2013; Sanz et al., 2020; Schenkeln et al., 2020]. Für die Praxis ergeben sich folgende Schluss- folgerungen: Im Rahmen von Nachsorgesitzungen, die in kurzen Zeitintervallen von drei bis sechs Monaten durchgeführt wer- den, ist es möglich, Erkrankungen an Zähnen und Zahnhalteapparat früh- zeitig zu erkennen und zu therapie- ren. Der langfristige Erhalt der natür- lichen Dentition bei Patienten mit schweren kardiovaskulären Erkran- kungen ist nicht immer realisierbar – dennoch sollte sichergestellt werden, dass sie keine Schmerzen haben und der Pflegezustand des Gebisses nicht vernachlässigt wird. Die Problematik der Prävention ka- riöser Erkrankungen und marginaler Parodontopathien ist bei (älteren) Patienten mit schweren kardialen Beeinträchtigungen wesentlich kom- plexer als bei Gesunden. Bei einer erheblichen Beeinträchtigung der körperlichen und/oder mentalen Leistungsfähigkeit (Zustand nach Herzinfarkt oder Schlaganfall) ist die Wirkung der präventiven Programme DR. CHRISTIAN SPÄTH Zahnklinik Bochum und Therapiezentrum für Zahnbehandlungsangst Bergstr. 28, 44791 Bochum und Externer Lehrbeauftragter der Universität Witten/Herdecke Alfred-Herrhausen-Str. 45, 58455 Witten Quelle: Zahnklinik Bochum ZAHNMEDIZIN | 51
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