Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 20

zm 111, Nr. 20, 16.10.2021, (1970) knoten. Bei bis zu 40 Prozent der Patienten liegen zum Zeitpunkt der Erstdiagnose trotz klinisch-radio- logisch unauffälliger Befunde bereits Halslymphknotenmetastasen vor. Die Inzidenz synchroner Zweittumore oder Fernmetastasen liegt in Abhän- gigkeit von der Größe des Primär- tumors zwischen 4 und 33 Prozent [Warner und Cox, 2003], betrifft dabei vornehmlich T3/T4-Befunde sowie Fälle mit Lymphknotenbefall in Level IV und ähnelt somit dem Re- zidiv-Risikoprofil der Mundhöhlen- karzinome (circa 20 Prozent). Das Vor- liegen pulmonaler Zweitkarzinome bei neu diagnostizierten Mundhöhlen- karzinomen ist mit 3,5 bis 3,8 Pro- zent hingegen als selten einzustufen, nimmt allerdings mit steigender Tu- morgröße zu, so dass ein CT-Thorax bei T3/T4-Karzinomen als regelmäßige Staginguntersuchung empfohlen wird [Keith et al., 2006; „Leitlinien“, 2020]. Bei einer Fernmetastasierung gilt ein Patient nicht mehr als kurativ behan- delbar [„Leitlinien“, 2020]. Im oben beschriebenen, durchaus sel- tenen Patientenfall wurde das Zweit- karzinom erst im Zuge der Entitäts- und Dignitätsklärung der klinisch- symptomatischen Pleurakarzinose diagnostiziert. Der im Anschluss dia- gnostizierte Pleuraerguss kann unter- schiedliche Ursachen haben und wird entsprechend der Ergussbeschaffen- heit in transsudative und exsudative Pleuraergüsse unterteilt. Erstere kön- nen infolge einer Herzinsuffizienz, einer Leberzirrhose, eines nephro- tischen Syndroms oder in seltenen Fällen (20 Prozent) bei Lungenembo- lien entstehen. Pleuraergüsse als Ex- sudat werden verursacht durch Pneu- monien, Malignome (beispielsweise Pleurametastasen), Lungenembolien oder Viruserkrankungen (virale Pleu- ritis) [Feller-Kopman et al., 2018]. Der metastatische Tumor ist das häufigste Neoplasma der Pleura. Die malignen Zellen finden den Weg zur Pleura durch die direkte Ausdehnung von benachbarten Stellen oder durch eine lymphatische und hämatogene Ausbreitung. Das mikroskopische Er- scheinungsbild ist das des Primär- tumors. Praktisch kann also jedes Neoplasma zur Pleura metastasieren. Eine Pleurabeteiligung deutet dabei auf ein fortgeschrittenes Stadium des Primärtumors hin. Es existieren keine Daten hinsichtlich des Anteils von oralen Plattenepithelkarzinomen bei der Entstehung von malignen Pleura- ergüssen. In der Ätiologie führt das Bronchialkarzinom mit 30 Prozent, danach folgen das Mammakarzinom mit 25 Prozent, maligne Lymphome mit 20 Prozent und Ovarialkarzinome mit 6 Prozent [Ebert et al., 1993]. Hä- matogene Fernmetastasen von oralen Plattenepithelkarzinomen betreffen primär die Lunge, die Knochen (ins- besondere Wirbelsäule, Rippen und Schädelknochen) und die Leber [Heinrichs et al., 2015]. Bei der Pa- tientin im beschriebenen Fall hat mit großer Wahrscheinlichkeit eine lym- phatische Ausbreitung der malignen Zellen ins Rippenfell stattgefunden. Damit würde es sich hier um eine seltene und in der Literatur bislang nicht beschriebene Form der Metasta- sierung eines oralen Plattenepithel- karzinoms handeln. \ FAZIT FÜR DIE PRAXIS \ Der Früherkennung von primären und Rezidiv-Mundhöhlenkarzinomen kommt eine zentrale Bedeutung zu. Eine verbesserte Aufklärung der Patienten ist notwendig, um die immer noch häufige Verschleppung der Diagnose zu vermeiden. \ Ein Plattenepithelkarzinom im Initialstadium ist makroskopisch nicht immer sicher zu erkennen. Der histopathologische Ausschluss/Nachweis via Biopsie ist daher essenzieller Bestandteil eines jeden Stagings. \ Zum Staging gehört auch eine Panoramaschichtaufnahme (PSA) zur zahnärztlichen Basisdiagnostik vor Beginn der Tumortherapie. \ Bei einer Rezidivquote von 20 bis 30 Prozent sollten die regelmäßigen klinischen Nachsorgetermine den offiziellen AWMF-S3-Leitlinien-Empfehlungen (für das 1. und das 2. Jahr alle drei Monate, im 3. bis 5. Jahr alle sechs Monate) folgen. Auch bildgebende Untersuchungen (CT oder MRT) in regelmäßigen Abständen sind obligat, um mögliche Lokalrezidive, Zweitmalignome, Lymphknoten- oder Fernmetastasen auszuschließen oder frühzeitig erkennen zu können. \ Auch bei geringen Inzidenzen von Fernmetastasen in der Literatur zeigt der obige Fallbericht, dass eine disseminiert-hämatogene Ausbreitung in seltenen Fällen auftritt und dabei auch primär äußerst selten tangierte Organe wie die Pleura betroffen sein können. UNIV.-PROF. DR. DR. PEER W. KÄMMERER, MA, FEBOMFS Leitender Oberarzt und stellvertretender Klinikdirektor Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Plastische Operationen, Universitätsmedizin Mainz Augustusplatz 2, 55131 Mainz peer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de Foto: privat ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 76 | ZAHNMEDIZIN

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