Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21

zm 111, Nr. 21, 1.11.2021, (2050) \ Mesodentin (unregelmäßige Tubuli mit noch zentrifugalem Wachstum wie Knochen) \ Osteodentin (mit Trabekulardentin und Vasodentin mit Gefäßein- schlüssen an Basis oder Krone) \ Semidentin (mit uni- oder bi- polaren Odontoblasten, anfangs ohne Pulpakammer, später mit Pulpa bei einigen Haien und mehreren Fischen) \ Orthodentin (parallele Tubuli bei allen Mammalia, als Plicadentin mit Faltungen pulpawärts bei Fischen, Amphibien, Reptilien- Giftzähnen und Elefanten-Molaren) Diese Endodontogenese mit viel- fältigen Übergängen ist im Silur vor 460 Ma bei den Haien und Rochen entstanden, weiterentwickelt bei frü- hen Fischen wie dem Lungenfisch im Devon vor 420 Ma. Aber die Ekto- dontogenese mit eher einfältigen Schmelzentwicklungen in zwei For- men, dem prismatischen und dem aprismatischen Schmelz, setzte erst mit den Reptilien vor 310 Millionen Jahren im Carbon ein. Die Endo- dontologie ist damit die Mutter aller dentalen Wissenschaften. Und das ist auch die wichtigste klinische Konse- quenz! Kein anderes Gebiet außer dem Pulpa-Dentin-Komplex hat eine so vielfältige orale Physiologie und Pathologie, die die alltägliche zahn- medizinische Praxis unmittelbar beeinflusst: \ Das humane Endodont von Milch- und bleibenden Zähnen ist am einfachsten aufgebaut, gemessen an allen Schritten der Endodonto- genese. Es hat eine einmalige Innervation, die nirgendwo anders im Organismus vorkommt. Die ektomesenchymalen (!) Odonto- blastenfortsätze übertragen an freie Nervenendigungen einen bio- logisch sinnlosen physiologischen Schmerz, die Entzündung löst einen pathologischen Schmerz aus, der auch niemandem hilft. \ Alle pathologischen Reaktionen auf bakterielle Infektionen wie bei Karies und auch Traumata lösen nach dem Konzept von Progression und Stagnation ausschließlich älteste phylogenetische Reaktions- muster im Pulpa-Dentin-Komplex aus. Das betrifft in einem wirts- abhängigen Wechsel Resorptionen und Appositionen, den Zellunter- gang der ewigen Odontoblasten und den Ersatz durch Fremdzellen aus dem Bindegewebe, die begrenzt- permanente Eruption lebenslang zum Abrasions-Ausgleich und schließlich die Reizdentinbildung zum Schutz der Pulpa. \ Die Pulpakammer ist aber bei omnivoren Menschen allein als Platzhalter für die lebenslange Dentinbildung funktionsfähig. \ Konsequenterweise ist das Regene- rationspotenzial nach Abschluss der Wurzelbildung nahe Null. Ausnahmen sind Dentin-Brücken- bildungen bei Überkappungen durch sekundäre Odontoblasten mit Orthodentin, Osteodentin oder Vasodentin. \ Die Entzündung der Pulpa geht in raschen Progressionsschüben und sehr langen Stagnationsphasen auf das apikale Parodont über. Die Degeneration der Zellen führt zu partiellen oder totalen Nekrosen, der Zahn in seinem Zahnbett ist aber nicht „tot“, sondern bildet ein weiterhin vitales System – die Wurzeloberflächen in den Alveolen ermöglichen unverändert biologische Interaktionen. Daraus ergibt sich eine unikale Patho- genese apikaler Parodontitiden, die am lebenden Zahn eine lebenslange endodontische Zahn- erhaltung ermöglicht. Und das ist kein Wortspiel. Der Schutz vitalen Zements und regenerationsfähigen Knochens hat deshalb Priorität. DIE HISTOPATHOLOGIE IN DER THERAPIE Was man in der Klinik weder mit blo- ßem Auge, Mikroskopen oder bild- gebenden Verfahren sehen kann, ver- rät die Histopathologie, die uns einen detaillierten Zugang zum Inneren der Gewebe verschafft. Die Entzündung verläuft an komple- xen Gewebeverbänden mit Zement, Knochen und Periodontalligament mesenchymaler Herkunft und Pulpa und Dentin ektomesenchymaler Herkunft aus der Neuralleiste. Diese völlig unterschiedlichen Zellen im Entzündungsfokus finden sich an keinem anderen Organ. Deshalb ist die zelluläre Wirtsreaktion auch so vielgestaltig, wobei Resorption und Apposition von Zement und Knochen im Vordergrund stehen, gefolgt von Degeneration und Regeneration vie- ler beteiligter Zellen. Aber eine voll- ständige Heilung bleibt für immer ausgeschlossen, weil einer Zelllinie, Abb. 5: Apikalansicht des Molaren eines Elefanten (Loxodonta africana) mit partiell verschlossenen Wurzeln und weit geöffneter Pulpakammer im posterioren Wachstums- zentrum: Der Molaren-Plattenzahn entsteht durch extra- und intraradikuläre Dentin- faltung. Es ist die intensivste Plicadentinbildung aller Wirbeltiere. Quelle: Gängler, Lang 36 | ZAHNMEDIZIN

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