Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21
zm 111, Nr. 21, 1.11.2021, (2080) lassen: „Wer war das?“ Diese Frage be- wirkt nur, dass die Angst vor Fehlern steigt und aus Angst vor Scham und Bloßstellung mehr vertuscht wird. Dazu ein Beispiel: In einer Praxis kam es mehrfach zum Bruch von Licht- leitern von Lichtleiterwinkelstücken. Niemand war – trotz deutlicher Fra- gen – schuld. Die Stimmung in der Praxis war angespannt. Eine genaue Fehleranalyse im Rahmen eines Coa- chings ergab, dass im Sterilisations- raum eine Ablage für die Winkel- stücke so angebracht war, dass diese herunterrutschen konnten und dabei auf die Kante des Waschbeckens fie- len. Nach einer Veränderung der Ab- lage trat der Fehler nie wieder auf. Durch die systematische Besprechung und die exakte sachliche Analyse ent- spannte sich die Stimmung schnell wieder. WARUM SIND FEHLER DENN SO PEINLICH? Eine gute Fehlerkultur aufzubauen setzt ein hohes Maß von Wertschät- zung und Vertrauen voraus. Nicht ohne Grund haben verschiedene Krankenhäuser ihre Fehlermelde- systeme so installiert, dass Ärztinnen Fehler anonym über geschützte Com- puter melden können. So werden Patientinnen geschützt, während gleichzeitig verhindert wird, dass die betroffenen Kolleginnen in peinliche Situationen kommen. Aber warum sind Fehler so peinlich? Gemäß Grawe [2004] haben Menschen prinzipiell vier Grundbedürfnisse: \ nach Bindung \ nach Orientierung und Kontrolle \ nach Selbstwertschutz und Selbstwerterhöhung \ nach Unlustvermeidung beziehungsweise nach Lust Wenn nun einer Mitarbeiterin ein Fehler unterläuft, so ist ihr etwas Unkontrolliertes passiert. Ihr Bedürf- nis nach Kontrolle und Orientierung wird dadurch verletzt. Gleichzeitig hat sie etwas nicht geschafft. Damit wird ihr Selbstwert belastet. Das bewirkt definitiv Unlust. Drei der vier Grund- bedürfnisse sind verletzt. In dieser Situation soll die Mitarbeiterin nun zu ihrer Chefin gehen und ihr sagen, dass sie diesen Fehler gemacht hat. Das erzeugt – neben der Scham über den Fehler – zusätzlich Angst. Wie ist die Chefin bisher mit Fehlern um- gegangen? Macht die Chefin Fehler? Hat sie schon einmal darüber berich- tet? Wie wird sie diesmal reagieren? Wenn die Zahnärztin ein gutes, ver- trauensvolles Betriebsklima mit einer positiven Praxiskultur aufgebaut hat, berichtet sie auch über eigene Pro- zessfehler. Irgendwann wird eine Mitarbeiterin den Mut haben, einen Fehler anzusprechen. Dann wird sie eine positive Erfahrung machen. Die erste Reaktion einer solchen Chefin auf eine Fehlermitteilung ist der Dank für die sofortige Mitteilung. Daran schließt sich dann die gemein- same Analyse und die Problembeseiti- gung an. Den Abschluss findet der Prozess dann in der Überprüfung und gegebenenfalls Optimierung der ent- sprechenden QM-Checkliste. JE UNKLARER DIE REGELN, DESTO ÖFTER WIRD GEPETZT Solche Prozessfehler sind jedoch nur ein (kleiner) Teil der auftretenden Schwierigkeiten. Eine weitere Fehler- möglichkeit liegt in der „Verantwor- tungsdiffusion“ – also darin, dass die Verantwortlichkeiten nicht eindeutig geregelt und nachvollziehbar sind. Je unklarer die Regelungen, desto häufi- ger kommt es zu Schuldzuschreibun- gen und zum „Petzen“. Niemand will den Fehler gemacht haben. Oft sind zwar die generellen Zustän- digkeitsbereiche in den Praxen abge- grenzt, jedoch fehlen die konkreten, tagesaktuellen Absprachen: „Wer ist wirklich heute (wann genau) wofür zuständig?“ Hier klärt sich dann auch die Frage nach klar geregelten Vertre- tungsdetails in Abwesenheitsfällen. Über eine generelle Festlegung der Verantwortlichkeiten hinaus, kann eine kurze Morgenbesprechung (fünf bis sieben Minuten) mit den tages- aktuellen Absprachen zu einer sehr starken Reduzierung von Problemen führen. Eine weitere Fehlerquelle liegt in einer unvollständigen Einarbeitung. Oft wird davon ausgegangen, dass neue Mitarbeiterinnen ja ausgebildet sind. Sie werden schon nach extrem kurzer Einarbeitung alleine in den Zimmern eingesetzt. Vergleicht man dies mit den Onboarding-Prozessen größerer Unternehmen, ist es nicht verwun- derlich, dass hier in den Praxen leicht Fehler auftreten. Wenn die neue Mitarbeiterin ängst- lich ist, wird sie versuchen, ihre Un- sicherheit aus Scham zu verbergen. Unterlaufen ihr dann Fehler, werden diese oft vertuscht. Die Scham in Kombination mit der neuen Situation verhindert teilweise auch ein Nach- fragen bei den Kolleginnen. Damit schleifen sich die Fehler dann unbe- merkt ein. Werden sie irgendwann erkannt, entsteht eine peinliche Si- tuation. Danach werden dann noch weniger Fehler mitgeteilt. Generell gilt, dass neue Fertigkeiten und Tätigkeiten sehr effektiv durch positive Verstärkung während des Lernprozesses erlernt werden. Anders ist es beim Auftreten von Fehlern in bereits bekannten Prozessen. Bei einem Fehler hat die Mitarbeiterin hier das Beste getan, was sie in der speziellen Situation gerade konnte. Hier helfen die Analyse und das klare Kennzeichen als Fehler. Verbunden DR. MED. DENT. ANKE HANDROCK Praxiscoach, Lehrtrainerin für Hypnose (DGZH), NLP, Positive Psychologie, Coaching und Mediation, Speakerin und Autorin anke@handrock.de Foto: Peter Adamik ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 66 | PRAXIS
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