Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21
zm 111, Nr. 21, 1.11.2021, (2100) ZM-REIHE: KARRIEREN IM AUSLAND Fritz Benjamin – von der Zahnarztpraxis in die wissenschaftliche Führungsriege der NASA Dominik Groß, Lena Norrman Fritz Benjamin gelang es, zwei schicksalhafte Ereignisse in eine glanzvolle Karriere zu verwandeln: 1935 musste er als junger Zahnmediziner vor den Nationalsozialisten ins Ausland fliehen und 1947 nach einer gravierenden Handverletzung den Zahnarztberuf aufgeben. Er wurde Physiologe und erreichte einen Expertenstatus in der NASA. F ritz (später: Fred) Berthold Ben- jamin (Abb. 1) wurde am 24. Ok- tober 1912 in Darmstadt geboren [UA Bonn, 1935; NARA, 1946–1947; Groß, 2021b; Norrman/Gross, 2021]. Er war der Sohn eines jüdischen Ban- kiers. Nach dem Abitur schrieb er sich 1930 – gerade 18-jährig – für das Studienfach Zahnheilkunde ein. Sein Studium absolvierte er an den Universitäten Freiburg, Würzburg und Bonn. Dort wurde er unter ande- rem von Karl Friedrich Schmidhuber (1895–1967) [Groß, 2020a] und Gustav Korkhaus (1895–1978) [Groß, 2018b; Groß/Wilhelmy, 2021] unter- richtet und bestand 1934 die zahn- ärztliche Prüfung. Auch die in dieser Reihe vorgestellte Gertrud Harth (1904–1962) gehörte damals in Bonn zum zahnärztlichen Team [Groß, 2021a]. Im Jahr 1935 promovierte Benjamin dann mit der Arbeit „Über die Beziehungen zwischen Agranulo- zytose und Munderkrankungen“ zum Dr. med. dent. [Benjamin, 1935]. Benjamin war jüdischer Herkunft. Daher war seine Promotion in Bonn zu diesem Zeitpunkt keine Selbst- verständlichkeit mehr – zumal die Universität Bonn nach der Macht- übernahme der Nationalsozialisten (1933) zu ihren Studierenden und Promovierenden umfangreiche Nach- forschungen durchführte. So wurden in Benjamins Fall unter anderem „Auskünfte beim NS-Studentenbund, der Studentenschaft, bei der Polizei an Benjamins Geburtsort Darmstadt (die ihrerseits die Gestapo einbezog) und beim Bonner Oberbürgermeis- ter“ eingeholt [Forsbach, 2006]. DIE NAZIS VERBOTEN IHM DIE PRAXISERÖFFNUNG Während ihm das Promovieren noch erlaubt war, erhielt Benjamin auf- grund der restriktiven antijüdischen Gesetzgebung keine Genehmigung für eine Praxiseröffnung. Benjamin und seine ebenfalls jüdische Kommi- litonin Harth teilten dieses Schicksal der zunehmenden Entrechtung mit rund 1.200 weiteren Zahnärzten jüdi- scher Herkunft [Groß, 2018c; Groß et al., 2018; Groß, 2019; Groß/Krischel, 2020]. Die fehlende berufliche Per- spektive und eine finanziell aus- sichtslose Lage brachten ihn – ebenso wie Harth und den bereits 1933 entlassenen Bonner Hochschullehrer Alfred Kantorowicz (1880–1962) [Groß, 2018a] – im Jahr 1935 zu dem Entschluss, Deutschland zu verlassen. Benjamin emigrierte nach Indien. Die näheren Umstände offenbarte er 1995 in einem Interview mit Norman Wahl: „I couldn’t stay on because I was a Jew. I couldn’t get permission to start a private practice. I had no money then. I looked for possibilities to go to other countries. I had an offer to go to Egypt from a dentist to the King of Egypt. He wanted me to be his assistant. I finally ended up in India“ [Wahl, 2007]. Seine Eltern – Karl (1876–1944) und Klara Benjamin (1988–1944) – wur- den beide am 28.10.1944 ins Ghetto und Konzentrationslager Theresien- stadt deportiert und kamen dort ums Leben [Arolsen Archives]. Sein Vater hatte Deutschland nicht verlassen wollen, weil er dort seine Pension als Bankier bezog und seinem Sohn im Ausland nicht finanziell zur Last fallen wollte: „But my father refused to come Abb. 1: Fritz Benjamin Foto: [NARA, 1947] 86 | GESELLSCHAFT
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