Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

Wie haben Sie von dem Quereinsteiger- Projekt erfahren? ZAHNARZT AXEL NEUMANN: Auf das Projekt wurde ich durch eine telefonische Anfrage der Fit-Bildungs-GmbH aufmerk- sam. Ich finde den Ansatz sehr gut, Quer- einsteigern, Arbeitslosen und Menschen, die sich beruflich neu orientieren wollen, eine Ausbildung in diesem Beruf zu ermöglichen. Die Umschüler werden zusätzlich zu den regulären Klassen der Berufsschule ausgebildet. ZAHNÄRZTIN ANTJE STILLE: Ich finde das Projekt sehr gut. Wir bilden bereits seit 1991 aus. In der Regel haben wir immer zwei Auszubildende, die unter- schiedlich weit sind. Die jüngeren Auszu- bildenden können von den Erfahrungen der anderen profitieren und sich gegen- seitig unterstützen. Durch einen Aufruf der ZÄK SA in den Zahnärztlichen Nach- richten (zn) wurde ich darauf aufmerksam, dass Praxen gesucht werden, die bei dem Modellprojekt mitmachen wollen. Darauf- hin habe ich mich gemeldet. Warum nehmen Sie teil? Haben Sie bereits Erfahrungen mit Quereinsteigern? STILLE: In unserer Praxis hatten wir bisher noch keine Quereinsteiger. In den 90er- Jahren hat eine Kollegin eine Quereinstei- gerin ausgebildet. Sie war sehr zufrieden mit ihr. Unseren Quereinsteiger bilden wir zusätzlich aus. Mir wurde vom Bildungs- träger ein junger Mann vorgeschlagen. Nach einem ersten Gespräch war der Ein- druck durchweg positiv. Außerdem wollte ich schon immer mal einen Mann mit im Team haben, daher haben wir uns für ihn entschieden. Anfang Oktober hat er die Umschulung bei uns begonnen. NEUMANN: Der Personalmangel ist über- all schmerzlich spürbar. Auszubildende sind rar. Praxen gehen auf der Suche nach ihnen oft leer aus. Deshalb freue ich mich besonders, dass sich im laufenden Projekt gleich zwei junge Frauen nach einem drei- wöchigen Praktikum für uns als Ausbildungs- praxis entschieden haben. Persönlich habe ich bisher keine Erfahrungen mit Quer- einsteigern gesammelt. Ein Kollege, der eine Quereinsteigerin beschäftigt hat, hat mir davon berichtet, wie zufrieden er war. Die Organisation und die personelle Sicherstellung der zahnärztlichen Sprech- stunde obliegen dem Praxisinhaber. Finden wir keine ausgebildeten ZFA, muss man auch an Quereinsteiger denken. Wie sehr sind Sie vom Fachkräftemangel betroffen? NEUMANN: Zurzeit bin ich wieder auf der Suche nach einer ZFA und weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, Fachkräfte zu finden. Es hilft auch nichts, frühzeitig bei Kollegen nachzufragen, die ihre Praxis aus Altersgründen aufgeben wollen und keinen Nachfolger finden. Bei drei Praxen in direkter Nachbarschaft habe ich es bisher vergeblich versucht. Deshalb kann ich versichern, dass ich vom Fachkräftemangel stark betroffen bin. Aufgrund einer unerwarteten Kündigung einer ZFA ist die aktuelle Situation so prekär, dass der reguläre Sprechstunden- betrieb ab Januar gefährdet sein könnte. Im Moment müssen wir bereits vereinbarte PZR-Termine für Dezember aus personellen Gründen wieder absagen. STILLE: Aktuell befindet sich unsere Praxis in einer guten Phase, in der wir nicht un- mittelbar vom Fachkräftemangel betroffen sind. Durch regelmäßiges Ausbilden können wir es ganz gut ausgleichen. Allerdings kenne ich auch Phasen, in denen wir Probleme hatten, Fachkräfte zu finden – vor allem wenn man spezielle Fachkräfte sucht oder alle Mitarbeiterinnen gleichzeitig schwanger werden. Diese Zeiten haben wir auch schon erlebt, was normal in einem Frauenbetrieb ist. Was können Quereinsteiger gegen den Fachkräftemangel leisten? STILLE: Meiner Meinung nach können Quereinsteiger dazu beitragen, den Fach- kräftemangel zu kompensieren. Außerdem bringen die meisten von ihnen Berufs- und Lebenserfahrung sowie eine bestimmte Vorbildung mit. Unser Quereinsteiger hat beispielsweise Chemie studiert, was für die Bereiche Werkstoffkunde, Hygiene- vorschriften und Gefahrstoffe in der Praxis von Vorteil ist. Hiervon können beide profitieren. Welche Vorteile das Projekt auf lange Sicht hat, wird sich noch zeigen. NEUMANN: Hier muss man differenzieren. Quereinsteiger können und dürfen nicht alle Arbeiten in der Praxis übernehmen. Insbesondere diejenigen, die ohne abge- schlossene Berufsausbildung in den Praxen arbeiten. Sie können viele Arbeiten nach Einarbeitung erledigen, aber eine ausge- bildete ZFA können sie nicht ersetzen. Zum Beispiel dürfen Röntgenaufnahmen oder die Sterilisierung nur von examinierten Fachkräften ausgeführt werden. Das Modellprojekt hat zwei Zielgruppen: zum einen Menschen, die diesen Beruf neu er- lernen möchten, zum anderen diejenigen, die bereits in Zahnarztpraxen als Quer- einsteiger arbeiten und nun mit der Berufs- ausbildung zu examinierten Fachkräften werden. Ich bin mir sicher, dass dieser Weg ein wertvoller Baustein sein kann, um der hohen Nachfrage nach ausgebildeten ZFA gerecht zu werden. Wie kann man die Ausbildung zur ZFA attraktiver gestalten? NEUMANN: Meiner Meinung nach ist die ZFA ein attraktiver Beruf. In den ver- gangenen Jahren sind die Auszubildenden- Entgelte kontinuierlich angepasst worden. Hier könnte man noch nachbessern. Viel wichtiger erscheint mir aber, die Vorteile, die dieser Beruf mit sich bringt, besser in der Öffentlichkeit zu kommunizieren: etwa das Thema verlässlich geregelte Arbeits- zeiten – keine Schichten und keine Arbeit an Sonn- und Feiertagen, mit Ausnahme der wenigen Notdienste. Eine meiner Um- schülerinnen arbeitete vorher in der Gas- tronomie und freut sich, zukünftig diese Annehmlichkeiten zu haben. Vor allem lässt sich das Familienleben mit kleineren Kindern so besser organisieren. In Zukunft wünsche ich mir mehr solcher Projekte. STILLE: Das Ansehen des Berufsbilds der ZFA muss insgesamt gestärkt werden. Viele wissen nicht, was zu dem Beruf dazu gehört und welche Anforderungen gefragt sind. Die Außendarstellung ist leider nicht präsent genug. Viele der jungen Auszu- bildenden, die sich bei uns bewerben, wissen oft nicht, was alles zu dem Beruf dazugehört. Deshalb bieten wir immer zuerst ein Probearbeiten an. Seit 1991 praktiziert Zahnarzt Axel Neumann in seiner Magdeburger Praxis. Bislang hat er acht ZFA und eine Umschülerin erfolgreich ausgebildet. Die ehemalige Olym- piaschwimmerin und Weltrekordlerin im Rückenschwimmen Antje Stille eröffnete vor 30 Jahren in Magdeburg ihre Zahn- arztpraxis. Seit 2017 führt sie die Praxis gemeinsam mit ihrer Tochter Anne Stille. DAS SAGEN CHEF UND CHEFIN Fotos: Peter Neumann, Marco Sensche zm 111, Nr. 22, 16.11.2021, (2221) PRAXIS | 95

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