Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24

zm 111, Nr. 23-24, 1.12.2021, (2266) URTEILE LANDESARBEITSGERICHT NÜRNBERG KRANKGEFEIERT MIT ANSAGE Lassen sich mehrere Medizinische Fachangestellte (MFA) exakt für die Dauer eines widerrufenen Betriebsurlaubs gleichzeitig krankschreiben, steht der Beweiswert dieser Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) infrage. ... und zwar erst recht, wenn eine der Angestellten das Attest ohne Untersuchung und nach nur telefonischer Rücksprache mit ihrer Hausärztin erhalten hat. So urteilte jetzt das Landesarbeits- gericht Nürnberg. Im Streitfall hatte der Arbeitgeber von Karfreitag bis Oster- montag einen Betriebsurlaub für alle Praxismitarbeiterinnen an- beraumt. Als dann wegen der Corona-Infektion einer MFA die Praxis aber von Mitte März bis zum 1. April zumachen musste, widerrief der Chef die Auszeit per Kurznachricht. Eine noch- malige Schließung sei für die Patienten nicht akzeptabel. Ent- weder man verschiebe den Urlaub um eine Woche oder arbeite in Schichten mit weniger Personal für 14 Tage. Eine MTA beschwerte sich danach über die Absage des Urlaubs: „Mit uns wird gar nichts besprochen. Uns wird angeordnet. Das funktioniert so nicht, da auch ich eine Familie habe.“ Sie könne nicht arbeiten kommen. Sie sei „immunsupprimiert“ und brauche deswegen eine gesundheitliche Pause, außerdem träten bei ihr gerade wieder Cluster-Kopfschmerzen auf. Doch der Arzt hielt an der Praxisöffnung fest. Bei einer Mitarbeiterin akzeptierte er die Weigerung, auf den geplanten Urlaubszeitraum zu verzichten, da diese in dieser Zeit ihren Umzug geplant hatte. Die drei übrigen Mitarbeiterinnen, einschließlich der Klägerin, schickten dem Arzt daraufhin jeweils die Bilddatei über die zur Veröffentlichung vorgesehene Anzeige zur Praxisschließung, versehen mit der Nachricht „Wir machen Urlaub, Ihr Praxisteam“. Die drei Kolleginnen erschienen tatsäch- lich nicht zur Arbeit und reichten jeweils AU-Bescheinigungen für genau den Zeitraum des ursprünglich vorgesehenen Betriebs- urlaubs ein. Am Osterdienstag erschien die Klägerin wieder in der Praxis. Dort teilte sie dem Arzt und ihren zwei Kolleginnen mit, dass sie mit der geplanten Einführung von Kurzarbeit nicht einver- standen sei. Sodann übergab der Arzt ihr die außerordentliche und fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung. Die Klägerin habe ihre Erkrankung nur vorgetäuscht und sich das ärztliche Attest erschlichen. Das sahen die Richter grundsätzlich genauso: Der Beweiswert einer AU-Bescheinigung sei erschüttert, wenn sie genau den Umfang des widerrufenen Betriebsurlaubs umfasst und darüber hinaus die behandelnde Ärztin die MFA gar nicht persönlich untersucht hatte. Im konkreten Fall ließ das Gericht dennoch nur die ordentliche Kündigung zu. Mit dem Hinweis auf ihre Vorerkrankungen habe die Klägerin den Täuschungsvorwurf plausibel entkräftet. Der Arbeitgeber habe seinen Vorwurf im Verlauf des Prozesses nicht weiter belegen können. Die behandelnde Hausärztin habe eben- falls ausgesagt, dass es keinerlei Hinweis auf erfundene Krank- heitssymptome gegeben habe. Leitsätze: 1. Der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbeschei- nigung ist erschüttert, wenn die vom Arbeitgeber vorgetragenen Tatsachen zu ernsthaften Zweifeln an der bescheinigten Arbeits- unfähigkeitsbescheinigung Anlass geben. 2. Solche Tatsachen können unter anderem die Erteilung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne Untersuchung nach nur telefonischer Rücksprache oder – wie im vorliegenden Fall – auch die gemeinsame Krankschreibung mehrerer Arbeitnehmer für die Dauer eines vom Arbeitgeber widerrufenen Betriebs- urlaubs sein. ck Landesarbeitsgericht Nürnberg Az.: 7 Sa 359/20 Urteil vom 27. Juli 2021 Nachdem ein Arzt den vorher angeordneten Betriebsurlaub aufgehoben hatte, meldeten sich mehrere MFA krank – und wurden anschließedend fristlos entlassen. Vor Gericht steht der Beweiswert der AU infrage. Foto: Adobe Stock_WoGi 16 | URTEILE

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