Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24

zm 111, Nr. 23-24, 1.12.2021, (2272) was ein ausgiebiges Training voraus- setzt. SELBSTBEWUSST UND DEMÜTIG – FÜR EINE GUTE FEHLERKULTUR Überall, wo in der Berufsausübung die Gesundheit und das Leben von Menschen gefährdet werden können, ist die Vorbeugung von und der Um- gang mit Fehlern ein besonders herausforderndes Feld. Nicht jeder in- dividuelle Fehler mündet zwangs- läufig in ein umfassendes Versagen mit Schadensfolgen. Doch wie ent- steht aus einem Fehler ein Versagen? Um diese Frage zu erörtern, hatten die Veranstalter den Piloten im Ruhe- stand und ehemaligen Lufthansa- kapitän Robert Schröder eingeladen. Wenn sich große Katastrophen ereig- nen, erklärte Schröder, gebe es immer die Vorstellung, es müssten adäquat große Ursachen dafür verantwortlich sein. Die meisten Fehler seien jedoch oft kleinteilig und banal – etwa wenn sich in der Medizin ein Mitarbeiter bei der Dosierung von Medikamen- ten um eine Zehnerpotenz verrechne. Dabei seien Fehler nicht immer rein fachlicher Natur, sondern entstünden aufgrund sozialer Dynamiken. Strenge Hierarchien gefährden den Teamgedanken Schröder schilderte die Entstehung der bislang größten Katastrophe in der zivilen Luftfahrt, die sich am 27. März 1977 auf dem Flughafen der Kanareninsel Teneriffa ereignet hat. Damals stieß in dichtem Nebel eine gerade landende Maschine der ameri- kanischen Fluggesellschaft Pan Am mit einem auf der gleichen Bahn entgegenkommenden Flugzeug der niederländischen KLM zusammen. 583 Menschen fanden den Tod. KLM-Kapitän van Zanten zählte zu den erfahrensten Piloten der Flug- gesellschaft und genoss als Chefaus- bilder höchstes Ansehen in Fachkrei- sen. An diesem Tag stand van Zanten wegen der Verzögerungen durch das Wetter unter erheblichem Zeitdruck, als er das Flugzeug trotz fehlender Startfreigabe auf die Startbahn rollte. Dieses Manöver widersprach eklatant allen geltenden Sicherheitsregeln. So- wohl der Kopilot als auch die Cock- pitbesatzung erkannten zwar den Fehler, brachten aber nicht die Kraft auf, das deutlich anzusprechen. Einer Koryphäe wie van Zanten wider- spricht man nicht. Einzig der in der Cockpit-Hierarchie zuunterst stehende Flugingenieur fragte schüchtern, ob denn die angekündigte Pan Am be- reits von der Bahn sei. Van Zanten wischte den Einwand beiseite und setzte zum Start an. Sekunden später kam es zum Crash. In der Auswertung des Unfallhergangs wurde deutlich, dass es maßgeblich soziale Dynamiken waren, die zum Unglück geführt hatten. Das „Hie- rarchie-sichernde Verhalten“ von van Zanten und der gehorsame Respekt der Besatzung gegenüber dem Chef hatten „nichts mit Fliegerei“ zu tun, betonte Schröder. „Any idea?“ – Der Chef als Teamplayer Als positives Beispiel zitierte Schröder den Flugkapitän Chesley Burnett KOMMENTAR DER GEIST LEBT! Wer die imposante Kulisse des großen Saals im Frankfurter Congress Center Messe mit farbenprächtiger Bühne und rund 4.000 Plätzen noch vor Augen hatte, musste sich erst einmal die Augen reiben, als der Bildschirm zur Eröffnung des wissenschaftlichen Teils des Deutschen Zahnärztetages 2021 den Blick in ein kleines Berliner Aufnahmestudio mit Wohnzimmeratmosphäre freigab. Die zentrale bundesweite Veranstaltung der deutschen Zahnärzte- schaft hätte sicher einen gewichtigeren Rahmen verdient gehabt. Doch die Pandemie ließ keine andere Wahl. Notzeiten haben ihre eigenen Gesetze und so verändern sich die Koordinaten- systeme der Wahrnehmung und Bewertung. Was vordem wichtig und groß war, konnte sich auch entsprechend präsentieren. Mit der Pandemie wird alles in die Uniformität des kleinsten gemeinsamen Nenners der Möglichkeiten einer Onlineveranstaltung gezwungen. Die Konsequenz erscheint nieder- schmetternd, könnte aber auch etwas Positives bewirken: Wenn die Größe des Auftritts keinen Hinweis mehr auf die Relevanz einer Veranstaltung geben kann, muss wieder besser hingesehen und zugehört werden, um Wichtiges von Bedeutungslosem zu unterscheiden. Das begann bereits mit dem Kongressthema. Wollte man eine Reihenfolge bedeutungsarmer Buzzwords und Floskeln aufstellen, wäre das Wort „Herausforderungen“ ganz vorn dabei. Da ist es schon mutig, eine solche Vokabel als Kongressmotto zu setzen und darauf zu vertrauen, dass die fortbildungswillige Zahnärzteschaft nicht darüber hinwegliest. Wer sich jedoch auf das Kongressthema einließ und sich anmeldete, der wurde reich belohnt mit einem umfassenden Streifzug durch die Herausforde- rungen des Faches. Die Referate waren hochklassig, die Themen vielseitig gesetzt. Spannendes aus Wissenschaft, Technologie und Versorgung sowie die Präsentation von Therapien und Patientenfällen boten nicht nur Genuss beim Zuhören, sondern auch einen handfesten Nutzen für den Praxisalltag. Lassen Sie sich also nicht durch die „Notatmosphäre“ des äußeren Auftritts verunsichern – der Geist des Deutschen Zahnärztetages lebt und wird seine großartige Form wieder finden. Hoffentlich schon im nächsten Jahr. Benn Roolf, Stv. Chefredakteur, Redakteur Wissenschaft und Zahnmedizin zm-Redaktion 22 | DEUTSCHER ZAHNÄRZTETAG 2021

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