Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24
zm 111, Nr. 23-24, 1.12.2021, (2284) Stress abfließen kann. Bei einem Missverhältnis zwischen dem Zufluss und dem Abfluss läuft das Fass über. Zum Glück lassen sich sowohl Zu- als auch Abfluss beeinflussen. Zum generellen Abfließen von Stress tragen genügend Schlaf, ausreichend Bewegung und körperlicher Aus- gleich, klare kurze Arbeitspausen und auch das Verhindern von Unter- zuckerung bei. Was genau Stress auslöst – abgesehen von generell schwierigen Situationen mit Patienten – ist von Person zu Person unterschiedlich. Gut ist, wenn die Chefin von sich selber weiß, welche spezifischen Kleinigkeiten sie stressen und triggern. Oft lassen sich diese in relativ kurzer Zeit reduzieren. Allerdings hilft es dabei meist wenig, anzusagen, was geändert werden soll – im Gegenteil, das führt dann oft zu der Situation: „Das habe ich schon hundertmal gesagt.“ Wesentlich effek- tiver ist es, im Team zu fragen, wie das eine oder andere Problem besei- tigt werden kann und anschließend genug Zeit zu geben, dass die Vor- schläge besprochen und geprüft wer- den können. Wenn das Team selbst eine Lösung findet, achtet die ganze Gruppe in der Folge auch vermehrt auf die Umsetzung. Und es reduziert auch den empfun- denen Stress, wenn man erlebt, dass die gesamte Gruppe sich erfolgreich Gedanken über die Lösung macht. Abgesehen davon entlastet es auch schon, wenn schwierige Situationen und Fehler zeitnah angesprochen werden. Ein Stressfaktor für viele Behandlerin- nen sind Unterbrechungen. Mitarbei- terinnen nehmen dies oft jedoch gar nicht als Störung oder Belastung wahr, insbesondere dann nicht, wenn sie selbst hauptsächlich Arbeiten über- nehmen, bei denen sie sich nicht lange konzentrieren müssen. Da sich in komplexeren Arbeitsabläufen jede Störung negativ auf die die Konzen- tration und damit die Qualität der Arbeit auswirkt, ist die Minimierung von Störungen ein wichtiger Faktor zur Stressreduktion. Möglicherweise hat die Chefin schon mehrfach da- rauf hingewiesen, dass sie während einer Behandlung nicht aufgrund von Telefonaten und Patientenfragen unterbrochen werden möchte. Wenn jedoch ein Teammitglied ins Sprech- zimmer kommt und eine Frage stellt, beantwortet die Zahnärztin sie sofort. So lernen die Mitarbeiterinnen leider, dass die Regel nicht wirklich gilt. Die Anzahl der Störungen nimmt zu, selbst wenn die Zahnärztin regel- mäßig darauf hinweist, dass sie nicht unterbrochen werden möchte. WAS FÖRDERN SIE SELBST DURCH IHR VERHALTEN? Dasselbe gilt für kurze Fragen nach Erlaubnissen, etwa für das Abbum- meln von Plus-Stunden. Die Mit- arbeiterinnen lernen nach kurzer Zeit, dass es ihnen nützt, diese Fragen zwischendurch zu stellen, weil die Zahnärztin dann nicht so konzentriert ist und eher zustimmt. Falls man der- artige Themen nicht delegiert hat, gibt es eine relativ einfache Lösung: Alles, was man ad hoc entscheiden soll, lehnt man ab mit einer Bemer- kung wie: „Wenn ich das jetzt hier zwischen Tür und Angel entscheiden soll, sage ich nein – Sie können mich aber gerne heute Mittag oder Abend fragen, wenn die Sprechstunde vorbei ist.“ In der Regel unterbleiben dann derartige Unterbrechungen nach kur- zer Zeit. Wir lernen schnell durch positive und negative Verstärkung. Es geht nicht darum, was Sie sagen – es geht darum, was Sie durch Ihr Verhalten fördern oder unterbinden. Es nützt wenig, etwas zu sagen, wenn hinter- her das Gesagte keine Wirkung entfaltet. Es hilft, sich immer wieder einmal zu fragen: „Was fördere und erlaube ich durch mein Verhalten und was verhindere oder verbiete ich dadurch?“ Das ist logisch, schon klar – nur ist der Alltag in der Praxis der- art schnell und vieldimensional, dass man sich in der Regel über die Wir- kung des eigenen Verhaltens als Verstärkungsmuster wenig Gedanken macht. Leider sind gerade die diejenigen, die sich immer extrem um freundliches Auftreten bemühen, besonders ge- fährdet, aus der Haut zu fahren. Weil sie ein Bedürfnis nach Harmonie haben, sprechen sie Missstände selten rechtzeitig an. Dabei staut sich der Ärger auf und wenn dann viele Klei- nigkeiten zusammenkommen, läuft das Fass über. Solche Situationen kön- nen sogar dazu führen, dass eigent- lich besonders freundliche Chefinnen von ihren Mitarbeiterinnen als lau- nisch empfunden werden. Wer dazu neigt, schnell zu explo- dieren, für den ist es hilfreich, jene eigenen körperlichen Signale zu spüren, die kurz vorher anzeigen, dass es gleich zu einer Überlastungs- reaktion kommen wird. Am einfachs- ten ist es, dann den Raum zu ver- lassen, doch das ist während einer Behandlung natürlich meist nicht möglich. Man kann sich aber zum Beispiel angewöhnen, in solchen Situationen die Mitarbeiterin darum zu bitten, jetzt das Fenster zu öffnen. Oft hilft diese Unterbrechung schon, bis zum Behandlungsende die Ruhe zu behalten. Nach Abschluss der jeweiligen Behandlung nützen dann „Mini-Rituale“ zur Stressreduktion. So kann man beispielsweise ans Fens- ter treten und dort fünf Züge lang forciert ausatmen – bis die Lunge leer ist. Der Verlust der Contenance ver- ursacht meist unangenehme Gefühle. Er hat aber auch nachhaltig negative Wirkung auf die Mitarbeiterinnen. Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass die anderen sich nicht so haben sollen. Allerdings haben die Beschäftigten heute die Qual der Wahl beim Jobangebot. Flippt eine Chefin regelmäßig aus, steigt der Wechselwille. Um dieses Risiko zu senken, kann es helfen, DR. MED. DENT. ANKE HANDROCK Praxiscoach, Lehrtrainerin für Hypnose (DGZH), NLP, Positive Psychologie, Coaching und Mediation, Speakerin und Autorin anke@handrock.de Foto: Peter Adamik 34 | PRAXIS
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