Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24

zm 111, Nr. 23-24, 1.12.2021, (2326) AUS DER WISSENSCHAFT Riesenzellarteriitis: Viele Erkrankte klagen über Kieferschmerzen Klagen Patienten über anhaltende Kieferschmerzen und eine plötzliche Visusminderung, sollten Zahnärztinnen und Zahnärzte hellhörig werden. Diese Symptome können auf eine Riesenzellarteriitis hinweisen, die schwere Komplikationen hervorrufen kann. K ürzlich veröffentlichte das Deutsche Ärzteblatt einen Fall- bericht über eine 80-jährige Patientin, die über Kieferschmerzen klagte und daraufhin eine Äquilibrie- rungsschiene erhielt, die allerdings nicht zur Linderung der Beschwerden führte. Zeitgleich traten ulzerierende Hautläsionen im Schläfenbereich auf, die ebenfalls nicht auf die Therapie mit antibiotischen Salben ansprachen. Nach drei Monaten stellte sich die Patientin erneut mit persistierenden Beschwerden vor, zudem zeigten sich eine seit zwei Wochen bestehende Vi- susminderung sowie nekrotisierende Areale an der Kopfhaut. Die Ärztinnen konnten anhand einer Duplexsono- grafie die Diagnose einer anterioren ischämischen Optikusneuropathie feststellen, die durch eine Riesenzell- arteriitis hervorgerufen wurde. Bei einer Riesenzellarteriitis handelt es sich um eine immunvermittelte Vaskulitis (Entzündung der Gefäße) mit bislang unbekannter Ätiologie. Vorwiegend sind die mittelgroßen Arterien, die vom Aortenbogen aus- gehen, betroffen. Mit einer Inzidenz von 20–30 pro 100.000 Einwohner ist die Riesenzellarteriitis die häu- figste Vaskulitis bei erwachsenen Personen in westlichen Ländern [Ameer et al., 2021]. Sie tritt meist erst nach dem Überschreiten des 50. Lebensjahres auf. Frauen erkran- ken deutlich häufiger als Männer. Ein gleichzeitiges Auftreten von Polymyalgia rheumatica, zu deren Leitsymptomen Schmerzen in den proximalen Extremitäten gehören, wird oft beschrieben. Bei einer Riesenzellarteriitis kommt es zu einer immunvermittelten, ent- zündlichen Veränderung der Gefäß- wände. Die Temporalarterien sind da- bei am häufigsten betroffen. Es gibt eine Reihe verschiedener Symptome, wobei neu aufgetretene Kopfschmer- zen unterschiedlicher Intensität bei den meisten Erkrankten beschrieben werden. Hellhörig sollten Zahnärztin- nen und Zahnärzte werden, wenn die Patienten über Kieferschmerzen bei gleichzeitigem Auftreten einer einsei- tigen Visusminderung klagen. Kiefer- schmerzen sind ein sehr spezifisches Symptom, wohingegen ein länger an- dauerndes, allgemeines Krankheits- gefühl als unspezifisches Symptom gilt. Die Kieferschmerzen resultieren aus einer Minderdurchblutung der Kaumuskulatur und werden bei mehr als 30 Prozent der Erkrankten beobachtet. KOMPLIKATION IRREVERSIBLER VISUSVERLUST Eine gefürchtete Komplikation ist der irreversible Visusverlust durch eine ischämische Optikusneuropathie, wes- halb in Verdachtsfällen schnell ge- handelt werden sollte. Zur Diagnose- sicherung kann neben bildgebenden Verfahren auch eine histopatholo- gische Untersuchung (Goldstandard) der Temporalarterie erfolgen. Im be- schriebenen Patientenfall berichten die Autorinnen, eine systemische Ste- roidtherapie eingeleitet zu haben, um den vaskulitischen Verschluss wei- terer Gefäße zu verhindern. Dadurch konnte auch eine Erblindung der Patientin verhindert werden. \ ORIGINALPUBLIKATIONEN \ Ameer MA, Peterfy RJ, Bansal P, Khazaeni B: Temporal Arteritis. 2021 Jul 18. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2021 Jan–. PMID: 29083688. \ Biermann J, Brücher VC: Scalp necrosis and jaw pain as cardinal symptoms. Dtsch Arztebl Int 2021; 118: 719. DOI: 10.3238/arztebl.m2021.0085 Kieferschmerzen sind ein spezifisches Symptom bei Riesenzellarteriitis und werden durch eine Minderdurchblutung der Muskulatur hervorgerufen. Foto: AdobeStock_agenturfotografin 76 | ZAHNMEDIZIN

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