Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24

zm 111, Nr. 23-24, 1.12.2021, (2330) DISKUSSION Als erste Symptome im Krankheits- verlauf der Patientin sind die Auftrei- bung im Bereich des Unterkiefers und die in der zahnärztlichen Röntgen- diagnostik auffälligen osteolytischen Veränderungen anzusehen. Im Rah- men einer Zahnfilmaufnahme kann eine solche apikale Osteolyse fälsch- licherweise als Parodontitis apikalis chronica oder radikuläre Zyste ge- deutet werden. Das Orthopantomo- gramm ist bei großen Raumforderun- gen als Übersichtsaufnahme besser geeignet und unnötige Trepanationen können vermieden werden. Die im Orthopantomgramm der Patientin dargestellten, nahezu über den ge- samten Unterkiefer disseminierten multiplen Osteolysen erscheinen un- gewöhnlich und untypisch für die in der Zahnheilkunde bekannten zys- tischen Formationen. Bei der differenzialdiagnostischen Be- trachtung rein osteolytischer Kiefer- läsionen kommen verschiedene Er- krankungen in Betracht. Die häufig vorkommenden Osteomyelitiden oder Kiefernekrosen besitzen in der Regel neben osteolytischen auch sklerosie- rende Anteile und stellen sich weni- ger als zystische Formationen dar. In erster Linie sind diesbezüglich odon- togene Zysten zu erwähnen. Diese können zwar eine multilokuläre Kammerung aufweisen, multifokales Auftreten ist dabei allerdings selten. Radikuläre Zysten beispielsweise kön- nen zwar multipel auftreten, beziehen sich aber in der Regel jeweils streng auf eine Wurzelspitze eines avitalen Zahnes [Devenney-Cakir et al., 2011]. Ebenso tritt die follikuläre Zyste zu- meist solitär auf und beinhaltet cha- rakteristischerweise eine Zahnkrone. Beim Auftreten multipler follikulärer Zysten ist an syndromale Erkrankun- gen zu denken wie Mukopolysaccha- ridose oder cleidokraniale Dysplasie [Freitas et al., 2006]. Ein multifokales Vorkommen von Keratozysten kann beim Gorlin-Goltz-Syndrom beob- achtet werden, allerdings verbunden mit weiteren typischen syndromalen Erscheinungen wie Basalzellkarzino- men [González-Alva et al., 2008]. Neben den zystischen Veränderungen der Kiefer kommen auch osteolytische Läsionen anderer Genese vor. Zentrale Riesenzellgranulome können multipel im Rahmen von Syndromen, zum Bei- spiel des Noonan-Syndroms, neben weiteren Symptomen wie geistiger Retardierung und typischen körper- lichen Fehlbildungen auftreten [Moskovszky et al., 2012]. Als endo- krinologische Ursache solcher Riesen- zellgranulome sollte ein Hyperpara- thyreoidismus (sogenannter brauner Tumor) berücksichtigt werden [Brabyn et al., 2017]. Der Cherubismus ist eine autosomal-dominante Erbkrank- heit, die schon im Vorschulalter zu osteolytischen Auftreibungen in allen Quadranten führen kann [Sidorowic et al., 2018]. Kiefertumoren rufen ebenfalls Osteo- lysen hervor. In der Regel treten auch diese als solitäre Läsion auf, sind aber bei großer Ausdehnung und multi- lokulärem Vorkommen zu berücksich- tigen. Benigne odontogene Tumore wie beispielsweise das Ameloblastom oder das odontogene Myxom besit- zen häufig ein blasiges beziehungs- weise wabiges Erscheinungsbild [More et al., 2012; Friedrich et al., 2012]. Maligne Tumoren des Kieferknochens wie das Osteosarkom weisen neben den osteolytischen meist auch sklero- sierte Anteile auf sowie eine unscharfe Begrenzung [Chindia, 2001]. Auch Fernmetastasen eines extragnathen Tumors kommen in Betracht, treten aber zumeist ebenfalls solitär auf und Quelle: Maciej Pech, Universitätsklinik für Radiologie Magdeburg Abb. 4: Computertomografie des Unterkiefers in axialer Schichtung: Die Pfeile deuten auf osteolytische Läsionen im Bereich des Unterkiefers zum Teil mit Durchbruch der Kortikalis. Quelle: Maciej Pech, Universitätsklinik für Radiologie Magdeburg Abb. 5: Low-Dose-Computertomografie des Schädels in axialer Schichtung: Auftreten multifokaler Osteolysen, sogenannter Schrotschuss- schädel DR. MED. DENISE WOLLESCHAK Universitätsklinik für Hämatologie und Onkologie, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Leipziger Str. 44, 39120 Magdeburg Foto: Melitta Schubert, Universitätsklinikum Magdeburg 80 | ZAHNMEDIZIN

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