Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02

zm 112, Nr. 01-02, 16.1.2022, (34) laborchemischer Parameter wie des Blutbilds (Anämie, Thrombozyto- penie, Leukopenie), aber auch von Entzündungswerten wie der Blut- senkungsgeschwindigkeit (diese ist häufig ein erster Hinweis auf das Vorliegen der Erkrankung), des Blut- Kalzium-Wertes und des Anteils an Beta-2-Mikroglobulin (Anteil des Major-Histocompatibility-Complex- Systems, der durch Immunzellen syn- thetisiert wird) spielt bei der Dia- gnose eine wichtige Rolle. Aufgrund der Nierengängigkeit der vergleichbar kleinen Antikörperbestandteile kommt es zur Proteinurie und hier- mit zu einer quantifizierbaren Aus- scheidung von Bence-Jones-Protein, aber auch monoklonaler Antikörper. In der Immunfixationselektrophorese ist schließlich der sehr charakteris- tische M-Gradient bei monoklonaler Gammopathie (Peak der gamma-Glo- bulinfraktion typisch für das Multiple Myelom) zu beobachten [Wörmann et al., 2018]. Bei Verdacht auf das Vorliegen eines Multiplen Myeloms muss, wie auch im vorliegenden Fall, schließlich eine Knochenmarkszyto- logie mittels Knochenmarkspunktion erstellt werden. Wenn sich die Er- krankung bereits im blutbildenden System ausgebreitet hat, sind soge- nannte Plasmazellnester, also ein lockerer Verbund der monoklonalen Plasmazellen, zu beobachten. Da neben laborchemischen und zyto- logischen Parametern auch die Aus- breitung der Erkrankung im Körper des Patienten eine Rolle für die Prog- nose spielt und um das Risiko für tumorassoziierte Komplikationen ab- schätzen und gegebenenfalls thera- pieren zu können, wird standard- mäßig eine Low-dose-Ganzkörper- computertomografie zum Nachweis von Osteolysen oder einer Osteope- nie durchgeführt. Die Diagnose eines Multiplen Mye- loms erfolgt entsprechend der Krite- rien der International Myeloma Wor- king Group: Dieses gilt als gesichert, wenn ein Endorganschaden vorliegt, über zehn Prozent Plasmazellen im Knochenmarkausstrich identifiziert werden können und monoklonale Antikörper oder Leichtketten im Serum oder Urin des Patienten vor- handen sind. Das Kriterium des Endorganschadens beruht auf den sogenannten CRAB-Kriterien. Dieses Akronym setzt sich aus den Punkten Hyperkalziämie [C], Niereninsuffi- zienz (renal insufficiency) [R], Anämie [A] und Knochenbeteiligung (bone lesions) [B] zusammen. Das Plasmozytom lässt sich hiervon, wie auch im vorliegenden Fall, durch den fehlenden Nachweis eines Endorgan- schadens, dem geringen Anteil an Plasmazellen im Knochenmark (< 10 Prozent) und der Begrenzung auf eine singuläre Osteolyse abgren- zen. Grundvoraussetzung ist jedoch die bioptische Sicherung der klonalen Plasmazellen im Befund [Schulz, 2017; Wörmann et al., 2018]. Die Wahl der Therapie erfolgt ent- sprechend der klinischen Symptoma- tik und des Allgemeinzustands. Er- füllt der Patient die CRAB-Kriterien, ist grundsätzlich die Gabe von hoch- dosierten Glukokortikoiden in Kom- bination mit einer Chemotherapie möglich. Bei Osteolysen wird die Gabe von Antiresorptiva wie Denosu- mab oder Zolendronat empfohlen [Anderson et al., 2018; Wörmann et al., 2018]. Mögliche Komplikationen der Erkrankung sind die Entwicklung einer hyperkalziämischen Krise auf- grund der Mobilisation des Kalziums aus dem lytischen Knochen mit Symptomen wie schwerer Exsikkose, Psychose und schließlich Koma. Die Letalität dieses Krankheitsbildes liegt bei 50 Prozent. Eine weitere mögliche Komplikation ist die AL-Amyloidose, bei der es durch die Ablagerung von Leichtketten in verschiedenen Ge- weben des Körpers zu Folgeerschei- nungen wie Kardiomyopathie, Herz- oder Niereninsuffizienz und einem Malabsorptionssyndrom kommen kann. Insbesondere die Niere ist auf- grund des massiven Anfalls an Pro- teinen und Kalzium besonders stark betroffen. Der Verlauf der Erkrankung ist je nach Stadium und Allgemein- zustand sehr variabel. Trotz der heute deutlich besseren therapeutischen Methoden ist die Heilung nur in sehr seltenen Fällen möglich. Die absolute Fünfjahresüberlebensrate liegt bei 40 Prozent [Schulz, 2017; Wörmann et al., 2018]. \ FAZIT FÜR DIE PRAXIS \ Das Plasmozytom als häufigster maligner Knochentumor ist eine seltene Differenzialdiagnose der Osteolyse im Unterkiefer und muss von anderen zystischen Läsionen unterschieden werden. \ Das Plasmozytom gehört zu den B-Zell- Non-Hodgkin-Lymphomen und ist vom Multiplen Myelom abzugrenzen. \ Die erweiterte Diagnostik ist komplex und sollte durch einen Spezialisten durchgeführt werden; zur definitiven Sicherung des Befunds ist eine Proben- entnahme aus der auffälligen Region notwendig, um die Verdachtsdiagnose von anderen benignen und malignen Raumforderungen abgrenzen zu können. \ Das Multiple Myelom kann mit schwer- wiegenden Komplikationen und Folge- erkrankungen – insbesondere mit einer progredienten Nierenschädigung – einhergehen. UNIV.-PROF. DR. DR. PEER W. KÄMMERER, MA, FEBOMFS Leitender Oberarzt und stellvertretender Klinikdirektor Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Plastische Operationen, Universitätsmedizin Mainz Augustusplatz 2, 55131 Mainz peer.kaemmerer@unimedizin-mainz.de Foto: privat ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 36 | ZAHNMEDIZIN

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=