Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02

zm 112, Nr. 01-02, 16.1.2022, (46) überführt werden, so Widbiller. Er erläuterte das praktische Vorgehen, bei dem mittels apikaler Überinstru- mentierung eine Blutung in den Wurzelkanal induziert wird. Auf das Koagulum kommt ein Kollagen- schwamm, der mit einem Kalzium- silikatzement abgedeckt wird. Im Laufe von mehreren Monaten kann sich Widbiller zufolge die Pulpa regenerieren oder zumindest ein Reparaturgewebe ausbilden. Weitere Konzepte der Pulparegeneration sind Tissue-Engineering-Verfahren mit Trägermaterialien, Stammzellen oder Signalmolekülen. RISSE AN ENDODONTISCH BEHANDELTEN ZÄHNEN Prof. Tina Rödig aus Göttingen gab in ihrem Vortrag einen Überblick über die Rissbildungen an endodontisch behandelten Zähnen. Studien zufolge haben wurzelbehandelte Zähne mit Rissen immerhin eine Überlebens- wahrscheinlichkeit von gut 84 Pro- zent nach fünf Jahren [etwa: Leong et al., 2020]. Gerade der innere Dentin- bereich könne Kräfte besonders gut abfangen, so Rödig, weshalb dieser Bereich bei einer Wurzelbehandlung möglichst geschont und Wurzel- kanäle nicht zu sehr erweitert werden sollten. Eine erhöhte Sondierungstiefe mit Fistelgang an ansonsten unauffäl- ligen, endodontisch behandelten Zähnen weist auf eine Wurzellängs- fraktur hin. Dass solche Frakturen häufig in bukko-lingualer Richtung verlaufen, könnte am sogenannten Butterfly-Effekt liegen. Damit sind Be- reiche sklerosierten Dentins in mesio- distaler Ausbreitung gemeint, die eine höhere Mikrohärte aufweisen. Sie stellen sich im Querschnittspräparat einer Zahnwurzel schmetterlings- förmig dar. Aufgrund ihrer höheren Mikrohärte seien diese Bereiche ver- mutlich resistenter gegenüber Rissen als das Wurzeldentin in bukko-lin- gualer Richtung, erklärte Rödig. BIOAKTIVE MATERIALIEN UND LICHTPOLYMERISATION Die DGR 2 Z stellte in ihrem Vortrags- block bioaktive Restaurationsmateria- lien vor, zu denen PD Dr. Tobias Tau- böck aus Zürich vortrug. Bioaktivität bedeute im Zusammenhang mit Res- taurationsmaterialien eine spezifische biologische Reaktion an der Grenz- fläche zwischen Material und Gewebe, so Tauböck. Zu den kommerziellen bioaktiven Kompositen zählen die Produktklassen der Alkasite und der Giomere (= Glasionomer + Polymer). Die Giomere bestehen aus in eine Polymermatrix eingebetteten Glasio- nomer-Derivaten. Aus diesen Glas- partikeln werden Fluorid- und Sili- ziumionen herausgelöst, die für eine Remineralisation zur Verfügung stehen. Produkte aus der Klasse der Alkasite enthalten als Füllkörper ein patentiertes alkalisches Ca-F-Silikat- glas. Dieses könne auf pH-Wert-Ände- rungen reagieren und beim Säure- angriff vor allem Hydroxid freisetzen, aber auch Fluorid und Kalzium. Neben diesen Vorteilen der kommer- ziellen bioaktiven Komposite seien deren mechanische Eigenschaften noch nicht so gut wie die klassischer Komposite. Zudem wies Tauböck auf die teilweise überzogenen Hersteller- versprechen und eine noch unzu- reichende Datenlage hin. Die korrekte Lichtpolymerisation sollte heutzutage kein Thema auf Fortbildungsveranstaltungen mehr sein, denn „eigentlich muss man nur die richtige Lampe richtig auf den Zahn halten“, so Prof. Roland Frankenberger aus Marburg. Doch Fallstricke gibt es einige, wie sein Vortrag zeigte. Eine eingeschränkte Polymerisation von Komposit ent- stehe häufig durch die fehlerhafte Anwendung. Ein Verschwenken, al- so ein falscher Winkel (Angulation) des Lichtleiters zum Zahn könne schon zu Polymerisationseinbußen insbesondere in tiefen approxima- len Kästen führen. Zudem sollten Behandler auf ein gutes Beam Profi- le achten, also eine hohe Lichtin- tensität bei großem Abstand und bei maximal großem aktivem Durch- messer der Lichtaustrittsöffnung. Ein weiterer Tipp: Eine Schutzfolie über dem Lichtleiter verhindere, dass Kompositpartikel vorn an der Lichtleiteraustrittsöffnung kleben bleiben, diese so mit der Zeit verun- reinigen und die Lichtleistung schwächen. BEHANDLUNGSKONZEPTE FÜR HOCHBETAGTE Im Vortragsblock der DGPZM sprach Prof. Cornelia Frese aus Heidelberg über präventive Strategien für den demografischen Wandel. Sie stellte die Forschung am Patientengut der 100-Jährigen vor, deren besondere Bedürfnisse generell auf ältere Patien- ten übertragen werden könnten, obwohl die Gruppe der Senioren natürlich sehr heterogen sei. Sie zeigte Therapiestrategien im Sinn der Low-Tech-Dentistry, also wenig auf- wendige Behandlungen mit geringem technischem Einsatz. Das könne zum Beispiel das einfache Abdecken eines symptomlosen Wurzelrests mit Kom- posit sein anstelle der Extraktion. Bei pflegebedürftigen älteren Menschen stehe nach Frese im Vordergrund, die oralen Funktionen zu erhalten. Dies könne mit Kompromiss- oder „palliativen“ Restaurationen oft bes- Tagungspräsidentin Univ.-Prof. Dr. Annette Wiegand, Göttingen, freute sich, trotz der besonderen Umstände viele Teilnehmer auch vor Ort in Präsenz empfangen zu können. 48 | ZAHNMEDIZIN

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