Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02
zm 112, Nr. 01-02, 16.1.2022, (64) Funktionskieferorthopädie, die bis dahin in England wenig verbreitet war. Er gehörte zu den ersten, die die funktionelle Gerätetherapie zur Ver- besserung der Kieferbeziehungen ein- setzten, und er beteiligte sich aktiv an der Gaumenspaltenchirurgie so- wie an der chirurgischen Kieferortho- pädie am University College Hospital [Zamet, 2007]. Außerdem avancierte er in dieser Zeit zu einem bekannten Lehrbuchautor. Grossmann hatte den Kontakt zu Karl Häupl aufrechterhalten; beide publizierten nun – unter Einbindung von Patrick Clarkson (1911–1969) – das „Textbook of Functional Jaw Orthopaedics“ (1952) [Zamet, 2007]. Das Werk entwickelte sich zu einem großen Erfolg und erschien nach- folgend in mehreren Sprachen – so allein in drei Auflagen auf Spanisch. Grossmann profitierte von der Be- kanntheit Häupls, der seit den 1940er-Jahren als einer der weltweit führenden Funktionskieferorthopä- den galt. EIN PERSILSCHEIN FÜR SEINEN MENTOR KARL HÄUPL Doch Häupl profitierte seinerseits auch von Grossmann: Dieser fand sich im Januar 1947 bereit, für Häupl, der aufgrund seiner NSDAP- Mitgliedschaft ein Entnazifizierungs- verfahren durchlaufen musste, als politischer Leumundszeuge zu fun- gieren. Grossmann stellte ihm einen der weit verbreiteten „Persilscheine“ aus, die ehemalige Parteigänger der Nationalsozialisten vom Vorwurf der NS-Nähe „reinwaschen“ sollten. Dort konstatierte Grossmann: „I have wor- ked with Prof. Häupl at his clinic in Prague from 1934 to 1939 and from many conversations and his behavior towards me during those years and especially after Munich, I can testify that Prof. Häupl was politically un- interested and truly democratic“ [StadtA Innsbruck]. Privat ging Grossmann die Ehe mit einer Radiologin ein – die beiden be- kamen einen Sohn namens Patrick. Auch fachlich betrat Grossmann neues Terrain: 1954 erlangte er das „Diploma of Orthodontics“ (Dip.Orth.) des RCS. Er publizierte regelmäßig Beiträge in Fachzeit- schriften, baute das Orthodontic Department an der U.C.H. Dental School weiter aus und konnte 1963 ein neu errichtetes Gebäude be- ziehen. 1964 gab er die Stelle des Part time Consultant Orthodontist auf, blieb jedoch bis 1976 weiterhin Mitglied des „Consultant staff“ des Hospitals. Er war nun schwerpunktmäßig in der eigenen Praxis in London tätig – in der Harley Street im Stadtteil Marylebone. Grossmann verstarb am 18. Novem- ber 1982 „nach langer Krankheit“ in London [Grossmann, 1983]. Betrachtet man das umfangreiche Œuvre Grossmanns näher, so lassen sich im Wesentlichen vier Arbeits- beziehungsweise Forschungsgebiete abgrenzen: Die Kieferorthopädie mit den Schwerpunkten Funktionskiefer- orthopädie und Frühbehandlung [Grossmann, 1949, 1952, 1970 und 1971; Grossmann/Moss, 1963/64, 1964/65, 1968 und 1970; Häupl et al., 1952], der Schnittflächenbereich von Kieferorthopädie und Kiefer- chirurgie [Grossmann et al., 1946; Matthews/Grossmann, 1964a und b], die Therapie der LKG-Spalten, ins- besondere unter Verwendung von Knochentransplantationen [Clarkson/ Grossmann, 1954; Grossmann, 1955b; Grossmann, 1963; Grossmann/ Matthews, 1963; Matthews et al., 1970; Matthews/Grossmann, 1970] und die diagnostischen Verfahren Kephalometrie und Elektromyografie [Grossmann, 1955a; Grossmann et al., 1961; Grossmann/Greenfield, 1968]. EINER DER SCHRITTMACHER DES FACHES Vor allem mit seinen Arbeiten zur Funktionskieferorthopädie und zur „chirurgischen Kieferorthopädie“ ge- hörte er zu den Schrittmachern des Faches. Grossmann publizierte auch nach seiner Emigration von Zeit zu Zeit auf Deutsch [Grossmann, 1955a, 1955b; Grossmann/Greenfield 1968]. 1977 bekam Grossmann die „Medal in commemoration of Her Majesty’s Silver Jubilee“. Foto: Privatarchiv Grossmann ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 66 | GESELLSCHAFT
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