Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02

zm 112, Nr. 01-02, 16.1.2022, (65) Hervorzuheben ist auch, dass er Ende der 1950er-Jahre mit Lehrfilmen zur Kieferorthopädie und zur LKG-Chi- rurgie hervortrat [Grossmann/Clack- son, 1957; Grossmann, 1958]. In sei- nen späten Praxisjahren gehörten die Kieferorthopädie bei Kindern und Jugendlichen sowie die Oralchirurgie zu seinen Hauptarbeitsgebieten. Grossmanns beeindruckender Kar- riereverlauf lässt sich auch anhand seiner Ämter und Funktionen nach- zeichnen: 1956 fungierte er als Sek- retär beim Meeting der „British Medi- cal Association“ in Toronto (Plastic Section). Von 1963 bis 1970 und ab 1973 war er Chairman des „U.C.H. Dental Hospital Committee“. 1965 wurde er in den Council der „British Society for the Study of Orthodon- tics“ gewählt. 1972 war er Honorary President des „International Ortho- dontic Congress“ in London und im Juni 1977 konnte er die „Medal in commemoration of Her Majesty’s Silver Jubilee“(Foto links) entgegen- nehmen [Privatarchiv Grossmann]. Er war zudem zeitweise Präsident der „U.C.H. Dental Society“. Seinen Le- bensmittelpunkt hatte Grossmann zwar weiterhin in England – er war jedoch gleichzeitig international aus- gerichtet, auch aufgrund des welt- weiten Erfolgs des Lehrbuchs. So wirkte er um 1960 als Gastdozent an der Northwestern University in Chicago. Auch nach Deutschland hielt er Kontakt – insbesondere zur „Deutschen Gesellschaft für Kiefer- orthopädie“ (DGKFO), die ihn im Gegenzug zum korrespondierenden Mitglied ernannte. Darüber hinaus fungierte er 1977 und 1978 als Präsident der „Anglo-Con- tinental Dental Society“ (A.C.D.S.). Besagte Organisation war als zahn- ärztlicher (Hilfs-)Verein für nach Großbritannien emigrierte Zahnärzte gegründet worden. Trotz der unübersehbaren akademi- schen Erfolge und Ehrungen machte Grossmann auch negative Erfahrun- gen: Obwohl er vom amtierenden Dekan der U.C.H. Dental School (wohl in den 1960er-Jahren) als Nachfolger für das Dekansamt empfohlen wor- den war, wurde er nicht gewählt – ein Sachverhalt, den Zamet auf Gross- manns Vergangenheit als Flüchtling zurückführt. Zamet betont, dass Zahnärzte, die aus dem deutsch- sprachigen Raum nach Großbritan- nien flohen, höchst selten Erfolge an britischen Universitäten erzielten und durchaus kritisch beäugt wurden. EINE ENORME KARRIERE NACH DER EMIGRATION Außer Grossmann gelang nur noch Egon Fuchs (1902–1981) (später: Egon Fox) eine vergleichbare Karriere: Er avancierte zum Senior Lecturer und Leiter der neu gegründeten Abteilung für Parodontologie an der University of Birmingham Dental School; doch auch Fuchs gelangte nicht an die Fakultätsspitze [Zamet, 2007]. Wie außergewöhnlich die von Grossmann in Großbritannien erlangten Meriten waren, zeigt sich im direkten Ver- gleich mit anderen aus dem deut- schen Sprachraum emigrierten Zahnärzten: So waren zum Beispiel auch die bekannten deutschen Hochschullehrer Hans Türkheim (später: Turkheim) (1889–1955), Fritz Münzesheimer (Munz) (1895–1986) und Reinhold Waldsachs (Waldsax) (1907–1995) nach 1933 nach England eingewandert [Groß, 2022]. Turkheim war zuvor an der Universität Ham- burg als Professor tätig gewesen, Munz wirkte in Berlin als Privat- dozent und Waldsax galt vor seiner Emigration an der Universität Bonn als hoffnungsvoller Privatdozent. Sie alle fanden in Großbritannien keinen Anschluss mehr an Universität und Forschung und führten stattdessen erfolgreiche Praxen. Andere zahnärztliche Hochschulleh- rer kamen gar nicht erst in England unter: So wurde etwa das Einreise- und Arbeitsgesuch von Bernhard Gottlieb (1885–1950) – einem inter- national bekannten Wiener Professor – vom „General Medical Council“ ab- gelehnt [Wilms/Gross, 2020]. Auch Harry Sicher (1889–1974), ein Profes- sorenkollege Gottliebs, bemühte sich vergeblich um eine Bleibeperspektive in Großbritannien [Schunck/Gross, 2021]. Beide immigrierten letztlich in die USA. So ist es kein Zufall, dass alle bisher in dieser Reihe behandel- ten Hochschullehrer ihre wissen- schaftlichen Karrieren in den USA starten oder ausbauen konnten – sei es Hermann Becks (1897–1962), Georg Hindels (1914–1998), Her- mann Prinz (1869–1957), Bálint Orbán (1899–1960), Fritz Benjamin (1912–1998) oder Kurt Odenheimer (1911–1986) [Groß, 2021a-d; Groß/ Bergmann, 2021; Groß/Norrman, 2021]. Vor allem in den Bundes- staaten Illinois und New York fanden forschungswillige Zahnärzte und Ärzte passable Rahmenbedingungen vor [Uhlendahl et al., 2021; Normann/ Groß, 2021]. Grossmann dagegen fand in England eine zweite Heimat. Sein Sohn Patrick wurde ebenfalls Kieferorthopäde und bildete einen Schwerpunkt im Be- reich der Kiefergelenkserkrankungen aus; er ist heute in London nieder- gelassen [Grossmann, 2021]. Grossmann hielt bis zu seinem Tod den Kontakt zu deutschen Kollegen und galt in der Kieferorthopädie als fachliche Größe. So hieß es in der Zeitschrift „Fortschritte der Kiefer- orthopädie“ in einem Nachruf: „William Grossmann wird im Kreise der Kollegen und bei den Fach- kongressen in seiner vornehmen, zurückhaltenden Art, als anerkannter Fachmann und fairer Diskussions- redner sehr fehlen, und seine Freunde werden seine Persönlichkeit und seinen wertvollen, immer wohl- begründeten Ratschlag sehr ver- missen“ [Grossmann, 1983]. \ PROF. DR. DR. DR. DOMINIK GROß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Foto: privat GESELLSCHAFT | 67

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