Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 3

zm112, Nr. 3, 1.2.2022, (179) Forschungen der letzten Jahre [Neff, 2012] haben auch gezeigt, dass Selbstmitgefühl ein effektiver Ansatz ist, um solche belastenden Situationen zu überwinden. Dafür wird die Situation explizit angesprochen und die zugehörigen Gefühle werden konkret benannt. Auch die Mitarbeitenden erhalten die Gelegenheit ihre Gefühle auszudrücken. Das bedeutet, das Gefühl zu benennen, nicht es auszuleben. Oft hilft auch anzuerkennen, dass die Situation im Moment nicht verändert werden kann. Danach wird geschaut, was gerade jetzt getan werden könnte, um sich in diesem Moment ein klein wenig besser zu fühlen. Das können durchaus so kleine Dinge sein, wie erst einmal gemeinsam einen Kaffee zu trinken und trotz allem kurz eine Pause zu machen. Dieser Ansatz ist wesentlich wirkungsvoller als das klassische „Wir müssen uns jetzt zusammenreißen“. JETZT EINEN KAFFEE UND KURZ LÜFTEN! Die Forschung hat gezeigt: Negative Gefühle nehmen viel schneller ab und die Leistungsfähigkeit geht schneller wieder nach oben, wenn das Gefühl entsteht, sich wenigstens ein bisschen um sich gekümmert zu haben. Das ist vor allem dann hilfreich, wenn neue schwierige Nachrichten in der Praxis ankommen, wie „Jetzt ist auch noch Frau Meyer krank, die dritte diese Woche. Ich werde gerade richtig wütend, obwohl sie ja gar nichts dafür kann! Aber wütend bin ich trotzdem. Wie ist es denn bei Euch? Kommt mal alle mit rüber, wir holen uns jetzt einen Kaffee und machen ganz kurz Pause und lüften. Dann kriegen wir das danach wieder besser hin“. Durch ein derartiges Vorgehen artikuliert und teilt man gemeinsame Emotionen. Darüber hinaus wird die Solidarität des Chefs mit dem Team spürbar. Das beugt schlechter Stimmung vor und intensiviert die Bindung an die Praxis. Dabei kommt es darauf an, den Mitarbeitenden in der neuen Situation erst einmal Rückhalt anzubieten. Eine Chefin oder ein Chef, der in solchen Situationen jeweils Lösungsansätze entwickeln kann, gibt dem Team Vertrauen und Sicherheit. Natürlich ist das leichter gesagt als getan. Aber es geht an dieser Stelle nicht darum, sofort langfristige Problemlösungen aufzuzeigen. Zu sagen, wie es an diesem einen Tag laufen soll entlastet die Mitarbeitenden und erhöht das Vertrauen in eine wirksame Führung der Praxis. SOLIDARITÄT MIT DEM TEAM GEGEN MIESE STIMMUNG Bei plötzlichen infektionsbedingten Ausfällen von mehreren Teammitgliedern zur gleichen Zeit kann es nützlich sein, täglich eine kurze Team-Besprechung im Sinne eines Morgengrußes oder Tagesplans durchzuführen. Dazu wird vor Beginn der Behandlungszeit in zehn Minuten grob der geplante Tagesablauf besprochen und abgesichert, wer welche Leistungen erbringen kann und was gegebenenfalls auch unterbleiben muss. Erleben die Mitarbeitenden, dass die Führenden in schwierigen Situationen zuverlässig da sind, sinkt der Stress. Das gesteigerte Sicherheitsgefühl wiederum führt zu einer stärkeren Bindung an die Praxis. Gerade in dieser belastenden Zeit sollte man positive Zielbilder für gemeinsame Erlebnisse in der Zukunft skizzieren, auf die sich die gesamte Gruppe freuen kann: So kann man jetzt schon den nächsten Praxisausflug ins Visier nehmen. Solche Planungen verdeutlichen implizit auch, dass die schwierige Situation zeitlich begrenzt ist. Gerade in der aktuellen Pandemie-Lage wird es vermutlich auch täglich zu einer Veränderung der Lage kommen. Dann bietet es sich an, zum Abschluss des Tages noch einmal zu schauen, wie die Umsetzung der Planung gelungen ist. Dabei wird bewusst das Gelungene hervorgehoben, das trotz der widrigen Bedingungen erreicht wurde. Das kann die Stimmung noch einmal stabilisieren. Die Teammitglieder erhalten dabei das Gefühl, dass es dem Chef wirklich wichtig ist, dass alle mit im Boot sind. Sie merken, dass sie wahrgenommen werden und dass es nicht selbstverständlich ist, was sie in dieser extremen Zeit leisten. Natürlich heben auch materielle Vorteile die Motivation. Wenn Mitarbeitende jetzt zusätzliche Arbeitszeit auf sich nehmen, ergibt sich daraus in der Regel ein Vergütungsanspruch. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit mit Boni zu arbeiten. Dabei ist es nicht sinnvoll, einen Bonus in Aussicht zu stellen, weil dadurch die intrinsische Motivation, die Praxis und das Team zu unterstützen, eher beschädigt wird. Wirkungsvoller ist, einen solchen Bonus in Form eines Dankes für das Engagement und die zusätzliche Leistung zu vergeben. Dadurch entsteht Freude und das Gefühl von Dankbarkeit. Die Kombination aus einer spürbaren emotionalen Beteiligung der Führung, dem Mitgefühl für die schwierige Lage der Mitarbeitenden und dem Bemühen, die Probleme gemeinsam zu lösen, kann dann sogar zu einer Verstärkung der Motivation und des Wir-Gefühls in der Praxis führen. \ ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. MAIKE BAUMANN Diplompsychologin, Psychotherapeutin und Mediatorin, Coach, Autorin und Dozentin info@tonart-coaching.de Foto: Janien Ebert PRAXIS | 25

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