Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 3

zm112, Nr. 3, 1.2.2022, (196) INTERVIEW MIT DR. LUZIE BRAUN-DURLAK „DIE ANAMNESE-QUALITÄT WAR UNTERIRDISCH“ Für den NDR besuchte die Hamburger Kieferorthopädin Dr. Luzie Braun-Durlak mit einer Lockvogelpatientin drei Ersttermine bei Aligner-Startups, die sich in Zahnarztpraxen eingemietet haben, überprüfte anschließend deren Behandlungspläne – und war erschüttert. Frau Dr. Braun-Durlak, wie viele ehemalige Kundinnen und Kunden von Anbietern wie DrSmile, PlusDental und SmileDirectClub (SDC) sind bei Ihnen in Behandlung? DR. LUZIE BRAUN-DURLAK: Zurzeit etwa 30 – bislang fast ausschließlich DrSmilePatienten, ein paar wenige von PlusDental. Mit welchen Problemen wurden sie bei Ihnen vorstellig? Der Biss passt nicht mehr, es gibt Kaufunktionsstörungen, Kiefergelenk-/funktionelle Probleme nach der Behandlung, geplante Zahnbewegungen haben nicht funktioniert, obwohl ständig neue Aligner nachbestellt wurden. Die Kollegen dort waren nach Angaben der Patienten ratlos und konnten nicht mehr weiterhelfen oder haben – mit der Bitte um Verschwiegenheit – dazu geraten, einen Kieferorthopäden aufzusuchen. Wenn die Patienten jemanden erreichen wollten, so schildern sie, war niemand erreichbar oder sie wurden abgewiesen, niemand war verantwortlich, es wurde behauptet, Ergebnis und Behandlung seien vollkommen in Ordnung. Handelt es sich dabei eindeutig um Behandlungsfehler? Ja, eindeutig. In der Regel sind es schon Fehler bei der Diagnostik: fehlende Diagnostik, kein Röntgen, keine Modellanalysen, kein FRS, keine funktionelle Untersuchung, eine Diskrepanz RKP/IKP wurde gar nicht erkannt, weil überhaupt nicht untersucht. Daraus resultieren dann Fehler bei der Planung: Jemand plant, der den Patienten nicht untersucht hat, alle wichtigen Informationen für die Planung fehlen. Ganz offensichtlich planen dort Leute, die keine Ahnung von Biomechanik und KFO haben, denn es werden Bewegungen geplant, die gar nicht realistisch sind beziehungsweise parodontalschädlich sind. Es fehlen die notwendigen Attachments, es werden gleichzeitige Bewegungen gemacht, die nicht möglich sind, es fehlt bei der Planung das Verständnis für die notwendige Verankerung für Zahnbewegungen. Aus Planungsfehlern werden dann Behandlungsfehler: Wenn die Aligner im distalen Bereich nicht passen, werden sie einfach abgeschnitten, was fatale Folgen hat. Auch dafür fehlt offenbar jedes Verständnis. Ist Ihnen bekannt, ob diese Patienten von den AlignerAnbietern Schadenersatz für die Folgebehandlung fordern – oder anderweitig juristisch gegen diese Vorgehen? Ja, einige Patienten von mir werden juristisch vertreten. Haben Sie von Kolleginnen und Kollegen Rückmeldungen, ob sie auch ehemalige Kunden behandeln? Ja, auch andere Kollegen in Hamburg haben diese Fälle und ich werde immer wieder von Kollegen aus ganz Deutschland kontaktiert mit der Frage, wie sie jetzt vorgehen sollen, wenn sie so einen Patienten auf dem Behandlungsstuhl haben. Sie haben für den NDR eine mögliche Patientin bei den drei größten deutschen Anbietern zum Ersttermin begleitet. Wie war Ihr Eindruck von der Anamnesequalität? Haben Sie Unterschiede bei den Anbietern beobachtet? Die Anamnese-Qualität war unterirdisch und ließ alle Standards der Wissenschaft und der Sorgfalt außer Acht. Es gab Unterschiede: Am schlimmsten war DrSmile in der Praxis einer Kinderzahnärztin, die eine Kooperation mit DrSmile eingegangen ist: Es erschien überhaupt kein Arzt oder Ärztin, sondern eine ZmF machte völlig allein die Beratung und den Scan. Sie gab auf die Frage, ob da noch ein Arzt komme, an: „Bei DrSmile sehen Sie keinen Arzt, das machen alles wir ZmFs.“ Zudem gab sie an, Röntgenbilder seien nicht notwendig. Auf die Frage der Patientin, was sei, wenn sie Implantate oder Kronen habe, kam die Antwort: „Sie haben keine Implantate, das habe ich schon gesehen. Und Kronen könnte man nicht bewegen, die würden sonst ausfallen.“ Beide Aussagen sind haarsträubend. Das Schlimmste war, dass sie eine Diagnose äußerte, was für einen medizinischen Hilfsberuf unzulässig ist, sie erbrachte also ärztliche Leistungen ohne die erforderliche Qualifikation und Befugnis: Die Patientin verwies auf eine auf dem Scan sichtbare dunkle Stelle und fragte, ob das Karies sei. Nein, das sei keine Karies, war die Antwort – ohne die Stelle mithilfe der notwendigen Hilfsmittel (Sonde!) angesehen und untersucht zu haben (was sie allerdings auch nicht gekonnt hätte). Außer einem Scan erfolgte also keinerlei Untersuchung oder Diagnostik. Bei SDC war es auch eine ZmF, die scannte (dabei keine hygienische Kleidung trug, sondern einen Anzug) und sie auch sagte, dass man keine Röntgenbilder brauche. Dann kam die Zahnärztin herein, in deren Praxis in der Hamburger Innenstadt ein Raum an SDC vermietet war, der nicht einmal für zahnmedizinische Zwecke eingerichtet war (kein Behandlungsstuhl, keine vorgeschriebene Beleuchtung, nur ein Hocker, auf dem die Patientin saß). Ohne jegliche für eine Untersuchungssituation erforderliche Ausstattung und bei Raumbeleuchtung wurde die Patientin von ihr „untersucht“, indem sie einen Mundspiegel in den Mund hielt und sagte, da könne eine Karies sein, es sei vielleicht aber auch eine Füllung (müsste man eigentlich als Zahnärztin erkennen …), und dann anordnete, dass in ihrer Praxis Mundfilme gemacht werden sollen. Auf Fragen zur geplanten kieferorthopädischen Behandlung gab sie keine Antwort, sie wisse das nicht und sei dafür auch nicht zuständig, machte nur am Ende den Retainer rein. Bei PlusDental machte den Scan und die Beratung immerhin ein junger Zahnarzt. Auch er behauptete, Röntgen sei nicht erforderlich. Als die Foto:: privat 42 | POLITIK

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