Die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens sollte nach dem Willen unseres ehemaligen Gesundheitsministers Jens Spahn bekanntermaßen auf Biegen und Brechen vorangetrieben werden. Auch das Auftreten einer weltweiten Pandemie mit massiven Auswirkungen auf deutsche Kliniken, Arztund Zahnarztpraxen konnte Spahns dynamisches Bestreben nach einer möglichst schnellen und vollständigen Implementierung der Telematikinfrastruktur (TI) nicht bremsen – wobei man anmerken muss, dass in der Zeit vor Spahn viel versäumt wurde, das es nachzuholen galt. Die von dieser Entwicklung betroffenen Personen – neben den Patienten vor allem die Ärzteschaft und die Zahnärzteschaft – wurden zwar gefragt, kritische Rückmeldungen bekamen aber schnell das Etikett „Bedenkenträger“ aufgedrückt. Eine vermeintliche Fortschrittsfeindlichkeit wurde dann gerne ins Feld geführt. Dass man seitens der Politik Zahnärztinnen und Zahnärzten, die vielerorts tagtäglich mit hochmoderner Technik professionell arbeiten, gerne mal Rückwärtsgewandtheit unterstellt, wäre fast zum Lachen, wäre es nicht so traurig. Die Zahnarztpraxen haben vielmehr, vergleicht man die Berufsgruppen, die höchste Anschlussquote an die TI und sind die Nummer 1 bei der Ausstattung mit den eHealth-Anwendungen der TI. Unter der Führung von Spahns frischgebackenem Nachfolger Karl Lauterbach hat das Bundesgesundheitsministerium nun kurz vor Weihnachten die Gesellschafter der gematik darüber informiert, dass die für den 1. Januar 2022 gesetzlich vorgegebene verpflichtende Einführung der elektronischen Arzneimittelverordnung (E-Rezept) abgesagt wird. Begründung: Die Ergebnisse bisheriger Tests seien unzureichend und die flächendeckende technische Verfügbarkeit der TelematikAnwendung bislang nicht erreicht. Das E-Rezept soll zunächst weiter getestet werden, bevor es in der Versorgung flächendeckend umgesetzt wird. Besser spät als nie, kann man da nur sagen. Die KZBV hat die richtige Einsicht des gematik-Mehrheitsgesellschafters BMG außerordentlich begrüßt. Mit dieser „Notbremse“ schließt sich die neue Spitze des Hauses noch rechtzeitig der vielfach und gemeinsam eingebrachten Auffassung der übrigen gematikGesellschafter an. Die KZBV hatte zuvor wiederholt mit aller Deutlichkeit auf einen Stopp gedrängt. Denn die bisherigen Feldtests in der Fokusregion Berlin-Brandenburg waren auch nach der bundesweiten Ausdehnung bei Weitem nicht aussagekräftig genug. Das Risiko eines von Fehlern und Pannen begleiteten Starts des E-Rezepts wäre völlig unkalkulierbar gewesen. Die KZBV hat sich erneut dafür ausgesprochen, die weitere Testung erst dann zu beenden, wenn diese nachweislich erfolgreich war. Dafür müssten transparente Qualitätskriterien vorgesehen werden, die nicht nur jeder Anbieter, sondern auch die gesamte Prozesskette erfüllen muss. Für mich steht fest: Das E-Rezept darf erst nach erwiesener Praxistauglichkeit für den Regelbetrieb in die Praxen kommen. Das große Dilemma der TI ist, dass sie auch vier Jahre nach Beginn des Rollouts in erster Linie ein Versprechen geblieben ist, die gesundheitliche Versorgung der Menschen in Deutschland zu verbessern. Ein Versprechen, dass sie in Zukunft sicherlich noch einlösen wird. Die TI wird nur dann genutzt, wenn sie allen Beteiligten einen erkennbaren Mehrwert bei guter Bedienbarkeit und hoher Sicherheit bietet. Das sind die Voraussetzungen für einen Erfolg und nicht die Androhung von Sanktionen bei immer höherer Schlagzahl. Eine schrittweise Einführung muss deshalb auch die Grundlage für die Einführung der sogenannten TI 2.0 sein, die bis Ende 2025 das bisherige eigenständige, geschlossene Gesundheitsnetz ablösen soll. Bisher ist der neue Bundesgesundheitsminister Lauterbach vor allem mit der Bekämpfung der CoronaPandemie befasst. Wie er sich in Sachen Digitalisierung aufstellen wird, ist noch nicht absehbar. Wir als Vertretung der Vertragszahnärzteschaft stehen bereit, die TI gemeinsam voranzubringen. Aber das gelingt nur mit und nicht gegen uns. Dr. Karl-Georg Pochhammer Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung Foto: KZBV/Knoff Nur mit und nicht gegen uns 06 | LEITARTIKEL
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