Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4

zm112, Nr. 4, 16.2.2022, (281) einsetzen und hoffe, dass sich mein Biss wieder normalisiert.“ Die letzte Möglichkeit: Die Zahnärztin „schleift mir meine hinteren Backenzähne so weit ab, bis ich wieder einen normalen Biss habe.“ S. war total schockiert. „Plötzlich wollte ich nur noch raus“, sagt sie. INKOMPETENZ AUF GANZER LINIE Aus Sicht der niedergelassenen Kieferorthopädin Dr. Luzie Braun-Durlak, bei der sich die junge Frau direkt im Anschluss in Behandlung begab, offenbaren diese Handlungsoptionen das ganze Ausmaß der fachlichen Inkompetenz der DrSmile-Angestellten. Option eins sei „völlig absurd, denn die unkontrollierte, unerwünschte Zahnbewegung, die das Desaster verursacht hat, wird ja dadurch nicht rückgängig gemacht“, sagt sie. „Die Leute haben also nicht einmal am Ende der Behandlung verstanden, was da passiert ist.“ Der Vorschlag, die Aligner abzusetzen in der Hoffnung, dass sich die Zähne irgendwie wieder zurechtruckeln, zeige „die komplette Hilflosigkeit“, lautet ihr Urteil. „Elongierte, verlängerte Zähne gehen nicht von allein wieder in den Knochen zurück.“ DER VORSCHLAG IST SCHLICHT KÖRPERVERLETZUNG Auch das Angebot, einen Retainer zu setzen, geschehe „nach dem Prinzip Hoffnung, weil man Mangels Verständnis und Fachkompetenz die Kontrolle verloren hat.“ Die dritte Behandlungsoption toppe das Vorgehen noch, schreibt sie auf Anfrage: „Da wird auf den einen Arztfehler zu dessen Korrektur der zweite draufgesetzt.“ Die iatrogen verlängerten Zähne durch Beschleifen so einzukürzen, dass sie wieder ihre ursprüngliche Länge haben, aber dann auch irreversibel geschädigt sind, sei schlicht Körperverletzung, so Braun-Durlak. Ziemlich geschockt fragt S. die DrSmile-Zahnärztin noch während des Abschlussgesprächs danach, welche Option sie empfehlen würde. Antwort: Sie wisse es nicht, weil sie „keine Referenzwerte habe“, S. solle das lieber allein entscheiden. Ursächlich für das medizinische Problem war nach Ansicht von Braun-Durlak die neun Monate zuvor getroffene Entscheidung einer anderen DrSmile-Zahnärztin, die Aligner der jungen Frau rigoros um die hintersten Backenzähne zu kürzen. S. erinnert sich: „Am 17. Februar 2020 sollte ich mit meinen ersten Schienen zum IPRTermin erscheinen. Zuhause habe ich bereits versucht, die Schienen einzusetzen – aber leider haben diese nicht gepasst.“ Die DrSmile-Zahnärztin meinte, dass so etwas öfter mal vorkommt und bot an, das Problem sofort zu beheben. Daraufhin verließ sie den Raum „und schliff von meinen beiden Spangen jeweils die Hälfte des letzten Backenzahns ab“. Da das die Situation nur minimal verbesserte, kürzte sie die Aligner um die kompletten letzten Backenzähne.“ S. atmete auf, endlich konnte sie mit eingesetzten Aligner den Mund wieder schließen. Als die Zahnärztin sie aber bat, auch die übrigen 16 Alignersätze vorbeizubringen, um diese zu kürzen, war S. beunruhigt. Die Verunsicherung wuchs, als zwei ZFA, mit GESCHÄDIGTE PATIENTEN IN GANZ EUROPA Bei der European Federation of Orthodontic Specialists Associations (EFOSA) gibt es noch keine zentrale Erfassung von Beschwerden über potenzielle Behandlungsfehler bei Alignern. Ende 2021 haben jedoch 31 zahnärztliche und kieferorthopädische Fachgesellschaften, Verbände und Institutionen aus 25 Ländern erstmals eine paneuropäische Erklärung verfasst, die einer Warnung vor den Fernbehandlungen durch Start-ups gleichkommt. Fazit: Behandlungen ohne gründliche klinische Untersuchung des Patienten vor Ort, Röntgenaufnahmen und regelmäßige klinische Überwachung sind potenziell gesundheitsgefährdend. Auch in den Niederlanden, Großbritannien, Frankreich, Spanien, der Schweiz, Österreich und Italien gibt es erste Fälle von potenziell geschädigten Patienten. Auf Nachfrage der zm berichtet die Präsidentin des Verbands Österreichischer Kieferorthopäden, DDr. Silvia Silli, dass sie in ihrer Praxis zwei ehemalige Kunden von DrSmile behandelt. Sie erhalte des Öfteren auch Berichte von Kolleginnen und Kollegen. Bei dem österreichischen Verein für Konsumenteninformation (VKI) sind ihres Wissens nach bislang etwa 50 Beschwerden eingegangen. Im März will der VKI einen Artikel dazu bringen. Die Schweizerische Gesellschaft für Kieferorthopädie SGK/ SSO berichtet, dass sich in letzter Zeit Meldungen von Mitgliedern häufen, die „teilweise schiefgegangene Behandlungen aus solchen Shops korrigieren müssen“. Darum wurde in der Schweiz Ende 2021 eine Ombudsstelle gebildet, über die Patienten eine kostengünstige fachliche Bewertung einholen können, wenn sie Behandlungsfehler vermuten. In Kürze wollen die Organisatoren die ersten drei Fälle beurteilen. Foto: AdobeStock_Proxima Studio POLITIK | 15

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