Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 4

zm112, Nr. 4, 16.2.2022, (282) denen S. infolge der Übergabe der Aligner in Kontakt hatte, ihre Irritation zum Ausdruck brachten. Am Ende vertraute S. aber dem Vorgehen ihrer Behandlerin. So wie schon jener Zahnärztin, die seinerzeit die Befundung übernommen hatte. Heute weiß S., dass sie besser schon vor oder während der Behandlung hätte skeptisch werden sollen. Anlässe gab es reichlich: Ein beim Ersttermin angefordertes Röntgenbild wollte plötzlich niemand mehr sehen. Gleichzeitig schwärmten alle ZFA wie auch die Erstbehandlerin von DrSmile, gaben sogar an, selbst Kundinnen zu sein, ein DrSmile-Kundenbetreuer wiederum drängte die junge Frau telefonisch zum fast 3 .000 Euro teuren Vertragsabschluss. Und die einzige Reaktion auf ihre dokumentierten Beschwerden war das Kürzen der Aligner. Einsicht in ihre Patientenakte hat S. nach eigener Aussage von DrSmile bis zum heutigen Tag nicht erhalten. Jetzt lässt sie sich von Rechtsanwalt Stephan Gierthmühlen juristisch vertreten. mg 5 FRAGEN AN DIE VERBRAUCHERZENTRALE NRW (VZBV) 1. Wie viele Beschwerden sind beim vzbv zu Aligner-Start-ups bisher eingegangen? Tanja Wolf (vzbv): Beim Projekt Faktencheck-Gesundheitswerbung der Verbraucherzentrale NRW (in Kooperation mit der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz) gehen immer wieder Beschwerden über Aligner-Anbieter ein, häufig auch über unser Portal Kostenfalle-Zahn.de oder in den Beratungsstellen vor Ort. Über Kostenfalle-Zahn sind seit Anfang 2021 etwa 20 Fälle gemeldet worden. Wir sehen somit, dass regelmäßig Probleme mit diesen Anbietern auftauchen. Das deckt sich auch mit den Fällen auf Bewertungswebseiten und den Schilderungen in einer Facebook-Gruppe für betroffene Patient:innen. 2. Worum geht es dabei? Sehr häufig geht es um die Frage, ob und wie man den Behandlungsvertrag widerrufen kann. Alle in unserem Marktcheck überprüften Unternehmen versuchen, das Widerrufsrecht auszuschließen, indem sie sich auf Zahnschienen als individuell gefertigte Produkte berufen. Die Verbraucherzentrale NRW sieht das anders, da der Schwerpunkt des Aligner-Vertrags auf der Herstellung funktionstauglicher Zahnschienen zur Behandlung von Zahnfehlstellungen liegt. Somit handelt es sich hier nicht um einen Kaufvertrag, sondern um einen Werkvertrag. Und für diese kann das Widerrufsrecht nicht unter Berufung auf § 312g Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgeschlossen werden. Das Widerrufsrecht für im Internet geschlossene Verbraucherverträge besteht daher nach Auffassung der Verbraucherzentralen und gibt Verbraucher:innen das Recht, den Vertrag – zum Beispiel durch eine Erklärung per E-Mail – wieder aufzulösen. Diese Rechtsauffassung wurde auch im Nachgang zum Marktcheck durch das Landgericht Frankfurt am Main zugunsten der Verbraucherzentrale NRW so bestätigt. 3. Wie viele Betroffene haben sich beim vzbv bisher gemeldet? Behandlungsfehler spielen in den bei uns vorliegenden Aligner-Beschwerden eine untergeordnete Rolle. Siehe Frage 1. 4. Von welchen Anbietern wurden sie behandelt? In der Regel geht es um die Anbieter, die wir auch im Marktcheck untersucht haben. Der Markt ist allerdings im Fluss, manche Anbieter stellen das Geschäft in Deutschland ein, andere sind insolvent. Der untersuchte Anbieter SmileDirectClub hat beispielsweise seine Tätigkeit in Deutschland eingestellt. 5. Welche juristischen Möglichkeiten haben potenziell geschädigte Patienten? Hier kommt es auf das Problem an. Medizinrechtlich gesehen folgt aus einem Behandlungsvertrag keine „Erfolgsgarantie“. Man kann also in der Zahnarztpraxis nicht sein Geld zurück verlangen, wenn der Behandlungserfolg nicht erreicht wird. Anders sieht es aus, wenn sich die Behandelnden nicht an die „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ (§ 630a Abs. 2 BGB) gehalten haben. Dann läge ein Behandlungsfehler vor. Ob das tatsächlich so ist, muss ein:e Zahnmediziner:in bewerten. Unser Tipp: Betroffene sollten gegenüber dem Aligner-Anbieter ihren Anspruch auf Einsichtnahme in die Behandlungsdokumentation (§ 630g BGB) geltend machen und anschließend einen Zahnarzt oder eine Zahnärztin ihres Vertrauens einen Blick darauf werfen lassen. Die Erfolgsaussichten einer Klage hängen vor allem davon ab, ob die Behandelnden die „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ missachtet haben. Falls ja, liegt ein Behandlungsfehler vor, der Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche begründen kann. Wurde die Behandlung von den mit dem Anbieter kooperierenden Zahnärzt:innen nicht richtig dokumentiert, können sich hieraus für Patient:innen Beweiserleichterungen ergeben. Wenn es um das Widerrufsrecht geht, werden den Betroffenen häufig finanzielle Nachlässe im Rahmen von „Kulanzvereinbarungen“ inklusive Verschwiegenheitspflicht gewährt. Dann muss leider derzeit jede:r selbst entscheiden, ob es besser ist, das Angebot anzunehmen oder sich auf einen Rechtsstreit einzulassen. Die Fragen stellte Marius Giessmann. 16 | POLITIK

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