zm112, Nr. 4, 16.2.2022, (318) ximaler Kontaktverhältnisse. Auch die Prozeduren nach der Basismodellation der Kompositwerkstoffe unterscheiden sich von den üblichen Arbeitsgängen. So werden zur hygienefähigen Gestaltung der (sub)gingival liegenden Komposit-Anteile neben Skalpellen oszillierend arbeitende Diamantinstrumente unterschiedlicher Formen benötigt. Es ist erforderlich, sich über die praktische Handhabung vor einer Intervention am Patienten anhand von Phantommodellen vertraut zu machen. WISSENSCHAFTLICHE DATENLAGE Auf erste Erfahrungen mit direkten Zahnverbreiterungen zum Lückenschluss im Seitenzahnbereich bis Prämolarenbreite wurde im Jahr 1999 hingewiesen [Staehle, 1999]. Es folgten diverse klinische und experimentelle Arbeiten, vor allem mit Hinweisen zum praktischen Vorgehen. 2015 wurde erstmals über Erfolgsraten von Zahnverbreiterungen im internationalen Schrifttum berichtet [Staehle et al., 2015]. 2021 wurde eine klinische Studie publiziert, die die verschiedenen Kategorien I bis V (bis Molarenbreite) umfasste. Die Beobachtungsdauer betrug zwischen einem und 21,5 Jahren, wobei naturgemäß bei den Zahnverbreiterungen der Kategorie I längere Beobachtungsdauern zu verzeichnen waren als bei den erst in jüngster Zeit vorgestellten Kategorien II bis V. Es kamen 53 Lückenschlüsse bei 43 Patienten zur Evaluation, wobei insgesamt drei unerwünschte Ereignisse beobachtet wurden: \ Bei einer Zahnverbreiterung (Kategorie I), die an einem mit einem Keramikinlay versorgten Pfeilerzahn vorgenommen worden war, kam es nach 16 Jahren zu einer Fraktur des Keramik-Inlays (kohäsive Fraktur), wobei die adhäsive Verbindung zwischen Keramikinlay und Kompositverbreiterung intakt geblieben war. \ Bei einem Zahnanhänger der Kategorie II kam es nach fünf Monaten zu einem adhäsiven Versagen, allerdings konnte der Anhänger wieder problemlos adhäsiv re-inseriert werden. \ Bei einem Freiendanhänger der Kategorie V kam es nach einem Jahr ebenfalls zu einem adhäsiven Versagen zwischen einer Keramikrestauration des Pfeilerzahns und dem Kompositanhänger. Hier wurde auf eine adhäsive Re-Insertion verzichtet. Die restlichen 50 der insgesamt 53 Lückenschlüsse waren hingegen intakt, wobei auch die parodontale Situation weitgehend unauffällig blieb [Staehle et al., 2021]. KUNSTSTOFFE UND FRUGALE ZAHNMEDIZIN Der aktuelle Kenntnisstand zur Frugalen Zahnmedizin wurde 2021 im Bundesgesundheitsblatt publiziert [Staehle, 2021]. Frugale Interventionen sind durch folgende drei Hauptkriterien definiert: \ Substanzielle Kostenreduktion \ Konzentration auf Kernfunktionalitäten \ Optimiertes Leistungsniveau unter Berücksichtigung der Erwartungen und Bedürfnisse der anzusprechenden Menschen [Weyrauch, 2018] Anhand der wechselvollen Geschichte dentaler Kunststoffe und Adhäsive lässt sich exemplarisch aufzeigen, welche Herausforderungen bei der Entwicklung und Verbreitung frugaler Interventionen auftreten können. Kunststoffe wurden 1930 in die Zahnmedizin eingeführt [Staehle und Sekundo, 2021]. Sie leisteten einen Beitrag dazu, größere Bevölkerungsteile zu erschwinglichen Kosten mit Prothesen zu versorgen. Schwieriger war die etwa zehn Jahre später (um 1940) eingeleitete Entwicklung von Kunststoffen für konservierende Zwecke. Auch hier bildeten neben zahnmedizinischen Anforderungen (etwa zahnfarbenes Aussehen und Biokompatibilität) Aspekte der Frugalität (hier: Ressourcenschonung und Kostenersparnis) eine Triebfeder. Man wollte direkte, im Mund herstellbare Kunststoff-Restaurationen anbieten, weil damit eine Breitenversorgung der Bevölkerung eher realisierbar erschien als mit den teureren, laborgefertigten Werkstücken (zum Beispiel Inlays, Kronen). Grundlegende Entdeckungen zur Möglichkeit, Kunststoffe an Zahnhartsubstanzen minimal-invasiv anzukleben, folgten wiederum etwa zehn Jahre später (um 1950). Der Weg zu direkt eingebrachten, stabilen und adhäsiv verankerten Kunststoff-Restaurationen (später als Komposit-Kunststoff-Restaurationen bezeichnet) war von etlichen Misserfolgen begleitet. Erst ab den 1970er- und 1980er-Jahren standen einigermaßen brauchbare Materialien und Techniken (vor allem für den Frontzahnbereich) zur Verfügung. Der Seitenzahnbereich blieb noch längere Zeit hart „umkämpft“, hier erwiesen sich Komposit-Kunststoffe als wesentlich problembehafteter als die seinerzeit noch am meisten verbreiteten Amalgame. Der Durchbruch der Komposit-Kunststoffe gelang nicht nur durch materialtechnische Verbesserungen, sondern wurde auch durch Änderungen in der Nachfrage („Bedürfnisse“) beeinflusst. Dentale Metalle (allen voran Amalgame) wurden besonders intensiv zum Ende des 20. Jahrhunderts durch medizinethisch bedenkliche Angstkampagnen in Misskredit gebracht, wobei nicht immer ganz klar war, wer die Aktionen aus welcher Interessenkonstellation heraus entfachte beziehungsweise förderte. Wissenschaftliche Argumentationen, die vor Überschätzungen toxischer Wirkungen mit daraus resultierenden Nocebo-Vorstellungen (Nocebo, lat.: „ich werde schaden“) warnten, konnten jedenfalls die negative Stimmungslage nicht entscheidend ändern. Die als AmalgamAlternativen oder -Ersatz angebotenen Komposit-Kunststoffe waren zunächst allerdings keineswegs „frugal“, da sie sich wegen ihrer noch deutlich DR. MED. DENT. CAROLINE SEKUNDO Poliklinik für Zahnerhaltungskunde der Klinik für Mund-, Zahn- und Kieferkrankheiten des Universitätsklinikums Heidelberg Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg caroline.sekundo@med.uni-heidelberg.de Foto: privat 52 | ZAHNMEDIZIN
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